Fast jeder zweite Bluterkranke mit Aids infiziert

■ Spaniens Behörden ignorierten jahrelang Warnungen über HIV-verseuchte Blutkonserven/ Ungetestete Bestände aufgebraucht?

Auch in Spanien wurde mit Aids-verseuchten Blutkonserven geschlampt – und noch schlimmer als in Frankreich. Darauf wiesen Mitglieder der Ärztegewerkschaft von Madrid am Dienstag in einer Pressekonferenz hin. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge lag die Zahl der von 1981 bis Juni 1992 registrierten HIV-infizierten Bluter in Spanien bei 1.147, das sind 41 Prozent aller hier registrierten Bluter. Bei 427 der Infizierten ist die Krankheit bereits ausgebrochen, nach offiziellen Zahlen sind 346 von ihnen inzwischen verstorben.

Eine Nachlässigkeit der Behörden im Zusammenhang mit den Blutkonserven ist offensichtlich die Ursache dafür, daß der Prozentsatz an HIV-infizierten Blutern noch höher liegt als in Frankreich (38 Prozent), wo im vergangenen Jahr der Direktor des Nationalen Bluttransfusionszentrums, Michel Garretta, zu vier Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Nach Angaben der Ärztegewerkschaft reiste im Jahre 1983 eine Gruppe von Experten des spanischen Gesundheitsministeriums in die USA und wurde dort vor HIV- verseuchten Blutkonserven gewarnt. Spanien importierte unter anderem Blutkonserven aus den USA und aus Mexiko.

Die Warnung hatte keine Auswirkungen. Ende Mai 1985 wurde in Frankreich die Durchseuchung von Blutkonserven bekannt, erst vier Monate später erging in Spanien ein ministerielles Verbot, Blutplasma zu importieren, das nicht auf HIV-Viren getestet worden wurde, und ungetestete Blutkonserven aus Spanien zu benutzen. Gleichzeitig wurde die Einziehung und Vernichtung der nichtgetesteten Bestände angeordnet. Eine Verordnung des Gesundheitsministerium vom 4. Dezember 1985 schreibt jedoch den HIV- Test bei Spendern noch nicht vor (im Gegensatz etwa zu Hepatitis und Syphilis). Dies holte man erst im Februar 1987, vier Jahre nach der Warnung aus den USA, nach.

Die Ärztegewerkschaft beklagt nicht nur, vom Gesundheitsministerium keine aktuellen Zahlen über verstorbene aidskranke Bluter zu erhalten, sondern bezweifelt auch, daß die ungetesteten Lagerbestände an Blutderivaten, wie angeordnet, vernichtet worden sind. „Uns sind keine erhöhten Einfuhren aus der Zeit nach 1985 bekannt, die die Vernichtung der Lagerbestände hätten ausgleichen können“, sagte Dr. Antonio Rivas, Sekretär der Gewerkschaft. Er schloß daraus, daß „aus ökonomischen Motiven“ die Lagerbestände verbraucht wurden. Bis Redaktionsschluß war vom Gesundheitsministerium keine Stellungnahme zu bekommen. Den konkreten Anlaß für die Veröffentlichung des Skandals gab die Ärztegewerkschaft etwas nebulös mit der Sorge um das Wohlergehen der Bluter an. Wahrscheinlicher ist jedoch ein Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Herbst. Während die anwesenden Doktoren jegliche Veranwortlichkeit der Ärzteschaft für die Ansteckung der Bluter sorgsam ausklammerten, sparten sie nicht mit vielfältiger Kritik an der Sozialistischen Partei. Antje Bauer