Schweizer Patriarchat verhindert eine Ministerin

■ Die Sozialdemokratin Christiane Brunner darf nicht in die Regierung/ Parlamentsmehrheit stimmt für Mann, der gar nicht offiziell kandidiert hatte

Berlin (taz/epd/dpa) – Die Hälfte der Schweiz darf nicht mitregieren. Das entschieden gestern 130 zu 108 zumeist männliche Abgeordnete der Bundesversammlung, die statt der von der Sozialdemokratischen Partei (SPS) aufgestellten Christiane Brunner deren Parteikollegen, den Neuenburger Finanzfachmann Francis Matthey zum Nachfolger für den scheidenden Außenminister René Felber wählten. Danach bliebe der siebenköpfige Bundesrat auch künftig frauenfrei. Matthey nahm die Wahl zunächst nicht an – seine Partei bat sich eine Woche Bedenkzeit aus.

Im Parlament empfanden Frauen aus verschiedenen Fraktionen das Ergebnis der geheimen Abstimmung als „Katastrophe“. Wieder einmal ist eine „nicht ganz konforme linke Frau an der bürgerlichen Mehrheit gescheitert, die einen angepaßten Mann vorzieht“, sagte eine enttäuschte Sozialdemokratin. Eine Christdemokratin sprach von einer „Desavouierung der Schweizer Frauen“.

Vor dem Bundeshaus gab es nach den beiden Wahlgängen Tränen und heftige Proteste. Etwa 500 Frauen waren angereist, um die 46jährige Brunner als die zweite Ministerin in der Geschichte der Schweiz zu feiern. Statt dessen sahen sie sich genötigt, Farbeier und Schneebälle zu werfen und ein Pfeifkonzert zu intonieren gegen die „Macho“-Wahl. Den angesprochenen Parlamentariern ging das über die Hutschnur. Sie riefen die Polizei, die die Demonstration am Nachmittag mit Tränengas auflöste.

Brunner meinte nach ihrer Abstimmungsniederlage, die Frauen hätten „nur die erste Schlacht“ verloren. Der Präsident ihrer sozialdemokratischen Partei, Peter Bodenmann, gestand zähneknirschend ein, daß die SPS kein „Szenario“ für die unerwartete Situation habe. Bis zum 10. März wolle sie „alle Optionen“ sorgfältig prüfen. Zahlreiche Stimmen an der Parteibasis verlangten einen Rückzug der SPS aus der Regierungskoalition, die seit 1959 zusammenarbeitet. Parteichef Bodenmann wehrte sich in seiner ersten Reaktion jedoch „grundsätzlich gegen“ einen Rückzug in die Opposition.

SPS-intern zeichnet sich nach der Parlamentsentscheidung eine Krise ab. Zahlreiche SPS-SprecherInnen sprachen von einem Affront gegen die Frauen in der Schweiz und gegen ihre Partei. Brunner, die auch Vorsitzende der Gewerkschaft der Uhren- und MetallarbeiterInnen ist, gehört zum linken Parteiflügel. Mehrfach ist sie mit spektakulären Aktionen an die Öffentlichkeit getreten. So war sie federführend an der Organisation des nationalen Frauenstreiks am 14. Juni 1991 beteiligt, unterschrieb das Volksbegehren für eine Abschaffung der Armee und engagiert sich gegen eine weitere Aufrüstung des wehrhaften Landes. In der Geschichte des Landes gab es mit Justizministerin Elisabeth Kopp in den 80er Jahren nur einmal eine Frau in der Regierung. Vor allem auch in dem Westschweizer Kanton Genf, aus dem Brunner kommt, dürfte die Frustrationsschwelle bald überschritten sein.

Seit mehr als sieben Jahrzehnten hat der Kanton – immerhin das internationale Aushängeschild der Schweiz – in Bern keinen Bundesminister, respektive Bundesministerin, mehr gestellt.

Der gewählte Minister Matthey hatte sich ursprünglich in der SPS als Gegenkandidat zu Brunner beworben. Bei der parteiinternen Vorentscheidung war er jedoch abgelehnt worden. Die Frage, ob er, Matthey, bei den gründlichen Überlegungen der nächsten Tage eher seinem persönlichen Ehrgeiz oder der Parteiraison folgen wird, hielten GenossInnen gestern für völlig offen. dora

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