Eine Namenwahl als deutsches Lehrstück

■ Robert Havemann oder Hans Coppi als Vorbild für Schüler in Ostberlin? / Streit zwischen Anhängern der beiden Kommunisten beschert einem Gymnsium in Lichtenberg politischen Anschauungsunterricht

Lichtenberg. Die Geschichte wirkt so konstruiert wie ein Drama von Rolf Hochhuth und bietet fast alles, was ein Lehrstück über den Umgang mit 60 Jahren deutscher Vergangenheit braucht. Es treten auf: Kommunisten, der alte Geist des SED-Staates, verdiente Bürgerrechtler, ein als Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten hingerichtetes Ehepaar sowie trotzige junge Ossis und Besserwessis, die sich im Gegensatz zu letzteren in den Medien darzustellen wissen. Was fehlt, ist vielleicht der Auftritt einiger Nackter, denn die Geschichte ist im Gegensatz zu Hochhuths jüngstem Drama nicht von Einar Schleef am Berliner Ensemble inszeniert worden, sondern an einem Ostberliner Gymnasium wirklich passiert. Was fehlt, ist das absolut Böse, dessen Rolle bei Hochhuth bekanntlich die Treuhandanstalt übernimmt. Was fehlt, sind schließlich atmosphärische Eindrücke und Begegnungen mit den handelnden Personen, denn diese Geschichte kann hier nur aus der Ferne erzählt werden: Die meisten ihrer Protagonisten verweigern mittlerweile der Presse jede Auskunft. Dabei geht es nur um den Namen einer Schule.

Nehmen wir an, es wäre tatsächlich ein Lehrstück, dann stünde da unter dem Stichwort Personen im Schauspielführer folgendes: Robert Havemann, Chemiker und Schriftsteller, als Nazigegner 1943 zum Tode verurteilt, überlebt im Gefängnis, wandelt sich in der DDR vom überzeugten Kommunisten zum Gegner des realexistierenden Sozialismus und büßt dafür mit jahrelangem Hausarrest – bis zu seinem Tod im Jahr 1982. Hans Coppi, Mitglied der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, 1942 hingerichtet. Hilde Coppi, Ehefrau von Hans Coppi, ebenfalls als Mitglied der Roten Kapelle hingerichtet; in Peter Weiß' „Die Ästhetik des Widerstands“ wird ihr Leben und das ihres Mannes als proletarische Idealbiographie gewürdigt. Peter Klepper, 41jähriger Lehrer für Geschichte mit Wohnsitz in Tempelhof, unterrichtet zur Zeit als einer von sehr wenigen West-Lehrern im Osten, am 6. Gymnasium in Lichtenberg. Der alte Geist, treibt sein Unwesen in den Köpfen von Menschen, auch von jungen Menschen, die mit der Hartnäckigkeit der Gekränkten an politischen Überzeugungen und Leitbildern aus DDR-Zeiten festhalten und sich gegen demokratische Belehrungen von Besserwessis entschieden verwahren. Weiter: Schüler, Lehrer. In Nebenrollen: ein Bildungsstadtrat, die Bundestagsabgeordnete Vera Wollenberger, Intellektuelle. Schauplatz: das 6. Gymnasium in Lichtenberg, in jenem Bezirk also, der die Stasi-Zentrale beherbergte. Zeit: Gegenwart.

Vorspiel: Nach der Vereinigung verlieren alle 400 Ostberliner Schulen ihre Namen und werden mit Zahlen gekennzeichnet. Nun können die Schulkonferenzen neue Namen wählen. Auch die „Hans-Coppi-Schule“, lange Zeit eine Einrichtung für die staatstreue Elite des DDR-Nachwuchses mit überproportional vielen Eltern aus dem SED-Parteiapparat, muß ihren Namen abgeben.

Das Stück kann seinen Lauf nehmen: West-Lehrer Klepper macht im Herbst 1992 einen Vorschlag: Als erste deutsche Schule soll das Gymnasium nach Robert- Havemann benannt werden. Der Dissident ist für Klepper „ein Symbol für Zivilcourage“ und als Vorbild geeignet, da er „beiden deutschen Diktaturen“ die Stirn geboten habe, als Antifaschist und als Antistalinist. Das sei bei Hans Coppi und seiner Frau, deren Namen auch wieder diskutiert wird, anders. Bei aller Würdigung ihres mutigen Widerstandes gegen die Nazis, so schreibt der West-Lehrer, hätten sie sich doch „gleichzeitig mit einem System verbunden gefühlt, das ebenfalls für Terror und Gewalt steht, dem Stalinismus“. Auch die Coppis nämlich waren Kommunisten. „Ich befürchte“, schreibt Klepper, „daß die Wiederaufnahme des Namens ,Coppi‘ das Mißverständnis nach außen fördert, in dieser Schule wehe der ,alte Geist‘, was angesichts der Russisch-Orientierung der Schule in einem besonders Stasi-belasteten Bezirk nicht erstaunlich wäre.“

Die Schule tobt. Schüler sehen sich als „SED-Funktionärskinder“ diffamiert. Den Namen Coppi nicht wieder aufzunehmen oder, wie es in der Sprache der Empörten heißt, zu „tilgen“, das „wäre wie eine zweite – geistige – Hinrichtung“ des Widerstandskämpfers, schreiben sie. Lehrer Klepper steht als „Besserwessi“ da, der seinen Schülern die Demokratiefähigkeit abspricht. Da hilft auch nicht, daß er die Zustimmung der Witwe Havemanns für die Namensgebung eingeholt hat und in engem Kontakt mit guten Freunden des Dissidenten stehen. Sie alle – und dazu Intellektuelle wie Heiner Müller und auch namhafte Historiker aus dem Westen – treten für Havemann ein.

Zwischenspiel: Es tritt auf Vera Wollenberger. Die heutige Bundestagsabgeordnete erinnert sich an ihre eigene Schulzeit in der Hans-Coppi-Schule: „Wenn ich an die zahlreichen Fahnenappelle denke, auf denen der Name Hans Coppi mißbraucht wurde, um Schüler, die sich ,seines Namens nicht würdig‘ erwiesen hatten, zu bestrafen, oder umgekehrt, an die Erziehung, die uns zuteil wurde, damit wir uns ,seines Namens würdig erweisen‘, denke ich, daß es notwendig ist, einen Bruch mit dieser Tradition herbeizuführen. Hans Coppi könnte einer anderen Schule seinen Namen geben.“

Lehrer Klepper begegnet nun Gerüchten, er sei nur auf den Schulleiterposten scharf oder arbeite mit der Gauck-Behörde zusammen. Im Lehrerzimmer wird die Stimmung frostig, das Gymnasium aber wird lebendig. Schülerinnen und Schüler verteilen Flugblätter. Für Havemann: Coppi sei ungeeignet, „da er im Kampf gegen die Nazis keine so bedeutende Rolle spielte, wie ihm zu DDR- Zeiten nachgesagt wurde.“ Für die Coppis: „Es wäre die Fortsetzung einer antifaschistischen Tradition ohne ihren Mißbrauch durch die Herrschenden, also eine Wiedergutmachung an Hans und Hilde Coppi.“ Die Eltern nehmen Stellung. Klepper schlägt vor, zwei benachbarte Gymnasien nach Coppi und Havemann zu benennen.

Es treten auf: Politiker. Der Lichtenberger Schulstadtrat Jürgen Bergmann, wie Klepper in der SPD, stellt klar: „Die Diskussion wurde der Schule durch den West- Lehrer aufgedrängt.“ Ein SPD- Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung, der der Schulkonferenz nahelegt, sich für die Coppis zu entscheiden, fällt durch. Im Unterricht des West-Lehrers taucht unangemeldet eine Schulrätin auf. Sie untersteht Stadtrat Bergmann.

Die Schüler setzen sich zusammen und diskutieren. Neue Namen kommen auf, die jede Brisanz vermeiden: Gymnasium Karlshorst, Römer-Gymnasium. Die Entpolitisierung ist gewollt: Lehrer und Eltern bitten Schulleiter Joachim Müncheberg, keine Presse mehr an die Schule zu lassen. Die Lehrer dürfen sich öffentlich ohnehin nicht äußern. Schulstadtrat Bergmann hat es verboten. Nur Klepper hält sich daran nicht.

Überraschungsmoment: Die Diskussionen verlaufen sachlich, man hört sich gegenseitig zu. Viele Chancen werden dem Namen Havemann nicht mehr eingeräumt, aber er soll nicht abgeschlagen sein. Da kommt die Nachricht, die für Havemann wahrscheinlich das Aus bedeutet: Eine Pankower Schule habe in der Liste des Senats diesen Namen bereits vormerken lassen. Lehrer Klepper wittert Intrige. Die Pankower Schule, so findet er heraus, hatte offenbar keinerlei Kontakt mit der Gruppe der engen Havemann-Freunde.

Die Geschichte vom 6. Gymansium geht hier zu Ende. Im Drama würde der 1942 ermordete Hans Coppi noch einmal vor den Schülern auftreten und bekäme die Chance, zu beweisen, ob er den Stalinismus in der DDR verurteilen würde. Havemann würde auf die Bühne treten und über Besserwessis sprechen. Dann käme noch das dramatische Streitgespräch zwischen Coppi, Havemann und dem alten Geist der DDR.

Dem Lehrstück fehlt aber noch der letzte Akt. Der Ausgang ist vorhersehbar, und auch alle Lehren stehen fest, die ein Schauspieler nun vor dem niedergehenden Vorhang verkünden könnte. Lehrer Klepper, der nach einer garstigen Abfuhr durch den Lichtenberger Schulstadtrat wieder an sein Stamm-Gymnasium in Tempelhof zurückkehren wird, hat etwas über die Empfindlichkeit gegenüber Belehrungen aus dem Westen gelernt. Die verdienten Bürgerrechtler, die für einen deutlichen Bruch mit der Vergangenheit der DDR plädieren, dürfen sich bestätigt fühlen in ihrer Klage über die Macht der Beharrungskräfte. Die Schülerinnen und Schüler schließlich haben erlebt, daß auch unter der ihnen so angepriesenen demokratischen Ordnung mit schmutzigen Tricks Politik gemacht wird.

An dieser Stelle könnte Lehrer Klepper ein letztes Mal auftreten und von seiner Zuversicht sprechen, daß die Schüler aus ihrer Beobachtung nicht den Schluß ziehen werden, es lohne überhaupt nicht, sich in die Politik einzumischen, da die Entscheidungen doch hinter verschlossenen Türen fielen: „Da sind die viel zu intelligent zu.“ Aber Klepper könnte auch den Brief Wolf Biermanns vorlesen, mit dem ihm der engste Freund Robert Havemanns auf seine Bitte um Unterstützung geantwortet hatte. Mit gutem Gespür für die Konflikte, die längst angelegt waren, weigerte sich der Liedermacher, sich in die Namensdiskussion einzuschalten. Begründung: „Ob Eure Schule gut genug ist für den Namen Robert Havemann, kann ich nicht wissen.“ Hans Monath