Klaus Croissant verurteilt, aber frei

Ein Jahr und neun Monate auf Bewährung wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ für den Anwalt/ Gericht: Auch die Linke steht unter dem Schutz des Staates  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Rechtsanwalt Klaus Croissant hat recht behalten. Vor der Urteilsverkündung im Berliner Kammergericht gefragt, was er denn auf sich zukommen sehe, sagte der 61jährige: „Ich erwarte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen zu können.“ So geschah es auch. Die Erste Strafkammer verurteilte den ehemaligen RAF-Verteidiger wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zugunsten einer vierjährigen Bewährungszeit ausgesetzt wurde. Als Auflage verfügte das Gericht, daß Croissant in den nächsten vier Jahren eine Geldbuße von 10.000 Mark an die Organisation „Weißer Ring“ zahlen muß.

Der Anwalt, dessen Haftbefehl vom September 1992 nunmehr außer Kraft gesetzt wurde, verfolgte unbewegt die Urteilsbegründung, das Kinn auf die Hand gestützt und die Stirn voller Falten. Auch wenn Croissant nicht die üblichen Regeln der Geheimdienstarbeit erfüllt habe – der Strafsenat sah es dennoch als bewiesen an, daß sich der Jurist der „geheimdienstlichen Agententätigkeit“ schuldig gemacht hat. Croissant habe sich „funktionell in einen fremden Geheimdienst einbinden lassen“. Zwar habe er weder seinen Decknamen gekannt, noch sei erwiesen, ob er Agentenlohn erhalten habe oder ob er regelrecht über die Grenze nach Ostberlin zu den Treffen geschleust wurde. Für eine Verurteilung reiche aber allemal aus, daß Croissant dem Ministerium für Staatssicherheit Informationen über die linke Szene und die Grünen-Partei überbracht habe. Er habe Personenbeschreibungen, Hintergrundwissen zu einzelnen Personen ebenso geliefert, wie er als „Berater“ für die Einschätzung einzelner linker Bestrebungen tätig gewesen sei.

Der Senat hatte auch „keinen Zweifel“ daran, daß Klaus Croissant spätestens zu dem Zeitpunkt von der Stasi-Tätigkeit seiner DDR-Gesprächspartner wußte, als er den Kontakt zwischen Mielkes Männern und seiner Lebensgefährtin Brigitte Heinrich 1982 herstellte. Gleichwohl nahm das Gericht zu seinen Gunsten an, daß er Frau Heinrich nicht geworben hat und später auch nicht als ihr „Kurier“ und „Instrukteur“ tätig wurde. Croissant habe für die Europaabgeordnete der Grünen lediglich Informationen „transportiert“.

Während Rechtsanwalt Matthias Zieger in seinem Plädoyer zur Verteidigung Croissants angeführt hatte: „Die Linke ist kein Staatsgeheimnis und auch keine vom Staatsschutzrecht geschützte Einrichtung“, folgte der Strafsenat einer anderen Auffassung. Der Staat dürfe und könne „die Linken und Grünen nicht aus seinem staatsschutzrechtlichen Recht entlassen“. Würde man der Argumentation des Verteidigers folgen, so das Gericht, „könnten gewisse Kreise behaupten, daß die Bundesrepublik Deutschland nur Rechte unter ihren Schutz stellt und die Linken ausklammert“.

Eine gewagte These stellte das Gericht auf, als es einen inneren Zusammenhang zwischen der ersten Verurteilung des Anwalts 1977 in Stuttgart-Stammheim und dem gestrigen Schuldspruch zog. Als Anwalt von RAF-Gefangenen war Croissant wegen einer Einbindung in ein „illegales Info-System“ unter den Inhaftierten zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden. „Der rote Faden, der beide Taten verbindet“, so das Gericht gestern, „ist die Tatsache, daß sie sich beide gegen den Staat und seine gesellschaftlichen Formen richteten.“

Klaus Croissant wurde weiter dazu verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Hinzu kommt, daß auf den Anwalt erneut ein Ehrengerichtsverfahren wartet. Ob Croissant zahlen kann, bleibt offen. In den beinahe sechs Monaten der Untersuchungshaft wurde sein Konto zur Begleichung der Kosten des 77er-Gerichtsverfahrens in Stuttgart gepfändet. Der Kontostand: rund 100 Mark.