24 Stunden Streik für die Stahlproduktion an Rhein und Ruhr. Doch der „Auf-Ruhr“ verläuft in geordneten Bahnen, Resigna- tion ist unverkennbar. Und Konzernchef Cromme bekräftigt: Ein Standort wird dichtgemacht. Aus dem Revier Walter Jakobs

Wider das Absterben des Stahls

„Otto, das ist ein leitender Angestellter, der will rein.“ Der vom Torposten angesprochene Hans- Otto Wolf, Betriebsratsvorsitzender im Dortmunder Hoesch-Stahlwerk „Phönix“, wendet sich dem etwas unglücklich dreinschauenden einzigen Schlipsträger am Tor zu. „Haben Sie einen Ausweis?“ Hat der Mann nicht. Also muß er warten, und es bedarf einiger Telefonate, bevor sich das mit schweren Ketten bewehrte Tor für den „Leitenden“ öffnet.

Wie hier am Werkstor von „Phönix“ ging es gestern an allen Stahlstandorten von Krupp und Hoesch im Revier, im Sauer- und Siegerland zu. Weit über 20.000 Stahlkocher beteiligten sich an dem 24-Stunden-Streik, um die „Kette des Auf-Ruhrs“ im fusionierten Hoesch-Krupp-Konzern zu schließen. Allzu wörtlich darf man die starken Worte indes nicht nehmen. Auch die dritte Großaktion der Stahlkocher vollzog sich in geordneten Bahnen — ein beeindruckender Protest, aber kein Aufruhr. Den wird es wohl auch nicht in der nächsten Woche geben, wenn der oberste Konzernchef Gerhard Cromme die Entscheidung über den zu schließenden Stahlstandort bekanntgeben will. Rheinhausen oder Dortmund — eine Rohstahlbasis geht baden. Eine „Zwischenlösung“, so sagte der Rheinhausener Krupp-Betriebsratsvorsitzende Walter Busch gestern früh während einer Belegschaftsversammlung, habe Cromme im Gespräch mit Betriebsräten am Montag als „völlig undenkbar“ bezeichnet.

Wenn die Mikrophone ausgeschaltet sind, findet sich kaum noch ein Belegschaftsvertreter, der daran glaubt, mit Streiks, Tor- und Straßenblockaden, mit Lichterketten und Solidaritätskonzerten das Blatt noch einmal wenden zu können. Wenn die Entscheidung gefallen ist, so ein führendes Hoesch- Betriebsratsmitglied gestern morgen in Dortmund, „wird es nur noch um die Sozialpläne gehen, ganz gleich ob es Dortmund oder Rheinhausen trifft“.

Von der wilden Entschlossenheit des letzten Arbeitskampfes war gestern auch während der Belegschaftsversammlung in Rheinhausen wenig zu spüren. Angesichts der ökonomischen Gesamtsituation spüren die Stahlkocher schärferen Gegenwind, stoßen sie außerhalb der unmittelbaren Standorte vor allem deshalb auf weniger Gehör, weil es, so ein Stahlarbeiter wörtlich, „im Osten noch viel schlimmer ist“. Was bleibt, ist die nach außen verschämt unterdrückte Hoffnung, es möge den jeweils anderen Standort treffen.

Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen gekämpft, unter Einbeziehung der Politik. Glaubt man den Meldungen der Regionalpresse, dann ist der mitentscheidende Kokskostennachteil des Dortmunder Hoesch-Werkes inzwischen durch Kooperationsangebote der Ruhrkohle AG und des von Sozialdemokraten geführten Dortmunder Energiekonzerns VEW weitgehend ausgeräumt. Die Fäden soll der Dortmunder Oberbürgermeister Günter Samtlebe gesponnen haben, der dem Ruhrkohleaufsichtsrat angehört und gleichzeitig VEW-Aufsichtsratsvorsitzender ist.

Während an der Ruhr das Schicksal eines Standortes besiegelt scheint, schöpfen die Krupp- Stahlkocher in Hagen und Siegen neue Hoffnung. Statt der totalen Stillegung der Profilstahlbereiche wird nun mit der Unternehmensleitung über eine eingeschränkte Weiterproduktion verhandelt.

Nach dem Alternativmodell könnten möglicherweise 1.500 der 4.000 im Siegerland zur Disposition stehenden Stahlarbeitsplätze erhalten bleiben. Ohne „betriebsbedingte Kündigungen“ ginge es aber in keinem Fall ab. Und das ist die Crux. Bisher hat die Stahlindustrie den Arbeitsplatzabbau immer über Sozialpläne realisiert. Wie das funktioniert, beschreibt Klaus Brekau, der „froh“ ist, als 55jähriger „den Absprung über Sozialplan noch geschafft“ zu haben. Brekau wird bei Hoesch in wenigen Wochen ausscheiden. Vom Arbeitsamt bekommt er dann 68 Prozent des Nettogehalts, das vom Unternehmen bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr auf rund 93 Prozent aufgestockt wird. Danach bezieht der seit 1953 bei Hoesch beschäftigte Mann bis zum Erreichen des Rentenalters ein vorgezogenes Altersruhegeld, „das kaum unter der Rente liegt“.

Die meisten Stahlkocher waren in den vergangenen Jahren froh, von der harten Arbeit über diese – im Vergleich zu anderen Krisenbranchen – komfortable Lösung los zu kommen. Bei dem jetzt bevorstehenden Belegschaftsabbau ist dieser Weg indes verstellt. Die Stahlkocher sind im Durchschnitt zu jung, und den Unternehmen fehlt das Geld für teure Sozialpläne. Auch die von der EG-Kommission europaweit in Aussicht gestellten 500 Millionen Mark reichen bei weitem nicht aus.

Deshalb blicken die Stahlarbeiter während der aktuellen Krise besonders sorgenvoll in die Zukunft. Mit einem gellenden Pfeifkonzert enpfingen rund 2.000 von ihnen gestern Konzernchef Gerhard Cromme, der während einer Demonstration vor der Essener Konzernzentrale die erregten Gemüter zu beruhigen suchte. „Ihre Sorgen sind auch unsere Sorgen. Wir nehmen sie sehr ernst“, versicherte Cromme seinen wütend protestierenden Beschäftigten. Doch eine Alternative zur Standortschließung gebe es nicht. Cromme wörtlich: „Das ist unsere einzige Chance.“