Extase und Hochtechnologie

■ KP Brehmer zeigt Schamanismus in Klangbeispielen in der Galerie Vorsetzen

in der Galerie Vorsetzen

Für den Professor der freien Kunst an der HfbK Hamburg, KP Brehmer — ehemaliges Mitglied der Schule des Kapitalistischen Realismus, zu der sich die heute namhaftesten deutschen Künstler wie Beuys, Vostell, Richter und Polke zählten, — sind die Abbilder der Abbilder von Trivialformen und Scheinwelten seit nunmehr 30 Jahren Thema. Schon 1969 versuchten KP Brehmer und Künstlergenossen die Frage der Entfremdung des Menschen im damals bereits als Spät-Kapitalismus bezeichneten System visuell zu bearbeiten. Die „oberflächliche Wahrnehmung“ gehört dem Forschen nach den Quellen der Humanität an, wenn „die gesamte gesellschaftliche Bewegung in ihren Verästelungen zum Thema künstlerischen Sehens“ werden soll. KP Brehmer geht es darum, „Codierungen des Trivialen in die Hohe Kunst einzuführen, um der gesellschaftlichen Wirklichkeit näher zu sein“ und somit die Kunst „zum sinnlichen Instrument emanzipatorischen Bewußtseins zu machen“.

Die jetzt in der Galerie Vorsetzen gezeigte vierteilige Arbeit Schamanismus in Klangbeispielen (1992/93) ist Abbild des Abbildes einer Entdeckung des amerikanischen Wissenschaftlers R. Lowensberg, der mit computergesteuerten Thermografien (Wärmebildern) die Veränderungen der Körpertemperaturen in der Bewegung darstellt. Im vorhängenden Falle wurden Schamanen bei ihren Tänzen beobachtet und durch visuelle Klangbeispiele, als Brehmersche Interpretation der Tanzrhythmik, erweitert. Die pop-artigen, farbintensiv gemalten Bilder erscheinen auf Rollbildträgern, Landkarten ähnlich. Das Bedeutungsvolle in Didaktik und Pädagogik wird doppelt reflektiert: als das Belehrende und zugleich den eigenen Anspruch Ironisierende und in Frage Stellende. „Der lange Zeigefinger wird zum poetischen Krückstock ... ein bißchen Stock, und ein bißchen steif“, sagt Brehmer.

Das Stichwort „Verknüpfung“, lieber KP, ist das Entscheidende für den von nun an subjektiv fortschreibenden Autor, denn von hier aus kann ich aus der Kenntnis des Menschen und Freundes KP den Anspruch von Objektivität, die auch immer nur eine scheinhafte sein kann, gar nicht mehr vertreten. Die Verknüpfung und das Argumentieren mit der Vernetzung des Kunstgeflechtes ist das herausragende Ergebnis dieser Ausstellung. Dem „Meister der Schnur- Kalligrafie“ (so nennen ihn die chinesischen Freunde in Hangzhou) gelingen an diesem Punkt wahre „Ziegenbocksprünge“ (capriccios), die einen Teil des Geheimnisses um das Brehmersche Kunst-Ideal lüften.

Nach sechs Jahren selbstverordneter schöpferischer Abstinenz werden auf differenziertesten Ebenen Verbindungen geschaffen: die Signal-Wirkung der Farbe aus den

1frühen Schaubildern (1965) und Briefmarken (1967/69) mit den Wärmebildern vom Anfang der 80er Jahre. Die visuellen, musikalischen Experimente (Seele und Gefühl einer Arbeiters, 1978-81) und die Diagramme zu den Bildern einer Ausstellung nach Mussorgski (1974/76), die eine kongeniale Freundschaftsarbeit des amerikanischen Avantgarde-Pianisten Phil Corner und KP Brehmers darstellte. Mussorgski ließ sich von Hartmanns Bildern zu Klängen inspirieren, KP eruierte mit Hilfe von Wissenschaftlern die Visualisierung der Grund-Klänge, übersetzte diese in Radierungs-Diagramme, die wiederum zur Grundlage der Kompositionen von Phil Corner wurden - eine unendliche Geschichte der Synthesen im Geflecht.

Die Kenntnis anderer Kulturen (China und Australien) und die Faszination an der afrikanischen Pla-

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4stik wird in der Galerie in die surreale Ebene der geistigen Freundschaft gehoben: Bogumir Ecker, dessen zentrales Thema gleichfalls die Probleme der Kommunikation sind, wird, wie Brehmer, öfters in Harrys Hafenbazar beim Sammeln afrikanischer Plastik ertappt und installiert jetzt parallel im Lichtschacht eine Tröte mit Namen Voc, deren Klänge ebenfalls imaginärer Natur sind.

Hier kommt auch ein reflektorischer Gegenpol zur Beuysschen Schamanismus-Interpretation ins Spiel, der die Freundschaft zu Joseph Beuys in Differenz konstruktiv gestaltet. Wie sagtest Du so schön, KP? Genau: „Wir bewegen uns in verschiedenen Sümpfen und Grenzgängen. Der Beuys frißt Sand, ich fresse Zeitungen!“ Na also. Nun haben wir anläßlich der in den Deichtorhallen eindeutig mißbrauchten Kunst-Reflexion eine

1klare Konzeption zum Stichwort „Medium“. Sie kann nur um die Dialektik von Natur, Kultur und Technik tanzen. Zumindest, wenn der Anspruch auf Wahrheitssuche nicht an den meistbietenden Werbe-Ver-Träger desavouiert werden soll. Der Widerspruch zwischen archaischer Extasetechnik, einem sprachfreien Phänomen der gestischen Symbolik in erfahrenen Zwischenwelten, in Konfrontation mit der digitalisierten und reduzierten Hochtechnologie, ist das Thema. Dies, mein lieber KP, hast Du bereits in herausragender künstlerischer Echtzeit mit der Video-Installation Diary 1978/93 in der Ausstellung Medienwelt und Kunstmedien (Kampnagel Halle K3) gezeigt.

Gunnar F. Gerlach

Galerie Vorsetzen, Seilerstraße 29, HH 36, Mi bis Fr, 15-18.30 Uhr, Sa 11-15 Uhr und nach Vereinbarung, bis 27. März.