Die Sturmfluten kommen häufiger und heftiger ...

■ ... doch die verantwortlichen Experten in den deutschen Küstenländern streiten seit Jahren, welche Flutschutzmaßnahmen am dringendsten sind

am dringendsten sind

Unzufrieden mit dem Hochwasserschutz in Hamburg sind die Deichvögte und die Grünen. Was passiert eigentlich, wenn sich die Sturmfluten an der Nordseeküste und Elbe wie erwartet häufen? Das fragte die GAL-Fraktion Anfang Februar den Senat. Angesichts mangelnder, wissenschaftlich fundierter Aussagen kann die Antwort nur abwartend ausfallen. Bleibt die Frage, warum eine Stadt wie Hamburg, deren Existenz vom Flutschutz abhängt, nicht schon früher nach Antworten gesucht hat.

Grundlage aller Flutschutz-Maßnahmen sind für die Ingenieure nach wie vor Bemessungswasserstände und die Wahrscheinlichkeit einer schweren Sturmflut. Doch die Häufigkeit seltener Ereignisse statistisch zu erfassen ist schwierig. Für eine Sturmflut wie die von 1962 ergaben Analysen die Möglichkeit von „einmal in 100 Jahren“. Sie wurde deshalb „Jahrhundertflut“ genannt und prompt von der Flut 1976 übertrumpft. Mathematisch besteht kein Widerspruch, wenn zwei „Jahrhundertfluten“ nur 14 Jahre auseinanderliegen. Denn damals gab es kaum Erkenntnisse über Klimaveränderungen. Die Prognosen beruhten allein auf Langzeitstatistiken. Diese Berechnung funktioniert aber nur, wenn alle anderen Einflüsse wie Wind und Wasserstände weitgehend konstant bleiben. „Dies scheint in den letzten Jahren nicht mehr der Fall zu sein“, schrieb bereits 1976 der Ingenieur Winfried Siefert vom Amt für Strom und Hafenbau. „Heute kann diese Methode nicht mehr als vertretbar angesehen werden.“ Weil man die mathematische Auswertungs-Methoden der Vergangenheit eben nicht einfach auf die Zukunft

1übertragen kann. Solange die Auswirkungen globaler Klimaveränderungen nicht bekannt sind, „haben die bisherigen Berechnungen kaum einen praktischen Wert“. Sieferts Appell wurde bis heute nicht gehört.

„Für säkulare (also hundertjährliche) Veränderungen der Bemessungswasserstände werden im Küstenschutz Hamburg 30 Zentimeter Wasserstandserhöhungen berücksichtigt. Neuere Erkenntnisse sind zu gegebener Zeit einzubeziehen“,

1ließ der Senat vor einem Jahr verlauten. Dies scheint bis heute nicht von neuen Erkenntnissen überholt worden zu sein und ist daher nach wie vor aktuell. Ebenso wie die Empfehlungen der verschiedenen Sturmflut-Arbeitsgruppen aus den 80er Jahren. Eine Arbeitsgruppe der nördlichen Bundesländer schlug bereits 1986 vor, für den Pegel St.Pauli einen Bemessungswasserstand von 7,3 Metern über Normalnull anzusetzen. Nicht ausreichend, befand die vom Senat eingesetzte „unabhängige Kommission Sturmfluten“. Sie empfahl einen Sicherheitszuschlag von 1,20 Metern, so daß in St.Pauli künftig 8,5 Meter erreicht werden sollten.

Welche Sturmflutwasserstände sind aber in Zukunft durch die weitere Elbvertiefung und Klimaveränderung zu erwarten? Das ist eine Frage, auf die es bis heute keine Antwort gibt. Eine langfristige Flutschutzlösung, Sperrwerk, Polder oder Deicherhöhung, sei erst spruchreif, wenn die Ergebnisse der Klimawirkungsforschung vorlägen — also nicht vor 1996, so Herr Ascher von der Baubehörde. Und eine gemeinsame Lösung mit den Nachbarländern erwartet Ascher sogar erst frühestens im Jahr 2000.

Das dauert dem „Deichverschworenen“ Heinrich Quast viel zu lange. Der Obstbauer aus Finkenwerder hat darüber, wie auch die Deichvögte aus Bergedorf und Wilhelmsburg, seit einigen Jahren „Differenzen mit der Baubehörde“. Die Empfehlung der Sturmflut- Kommission von 1989 wäre schließlich ganz klar gewesen: „8,50 Meter in St.Pauli müßte man in Zukunft gemeinsam an der Elbe abwehren!“ Es müsse endlich Schluß sein mit der „Wettdeicherei“ mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Quast weiter: „Man kann Deiche nur erhöhen, wenn man Platz hat. Ein Meter in die Höhe bedeutet sechs Meter in die Breite am Fuß. Die einzigen, die auf Dauer auf Deicherhöhungen setzen können, sind die Flachländer. Hamburg ist da am Ende der Fahnenstange und kommt immer mehr in die Bredouille.“ Die „Transuserei der Ministerpräsidenten, die immer nur aneinander vorbeireden“, bedeute eine zunehmende Gefährdung der Bevölkerung. Die Hamburger Deichvögte haben sich für ein Sperrwerk ausgesprochen. „Je weiter Richtung Cuxhaven, desto besser für die Schiffahrt“, sagt Quast. Mindestens in Brokdorf müsse das gigantische Sturmflut-Tor stehen.

Die schleswig-holsteinischen Grünen fordern ebenfalls seit Jahren eine länderübergreifende Sturmflut-Vorsorge. Ein zwischen den norddeutschen Ländern abgestimmtes Deich-Sicherheitskonzept sei dringend erforderlich, so der Landtags-Abgeordnete Karsten Hinrichsen. Die egoistische Hafenpolitik Hamburgs — wie die geplante Ausbaggerung der Elbe auf 15 Meter — verschärfe die Gefahr einer Überflutung.

Das Sperrwerk trennt den Brokdorfer Grünen vom Finkenwerder Deichvogt. „Brokdorf scheidet aus“, lehnt Hinrichsen kategorisch ab. Es sei nicht einzusehen, daß neben Müllverbrennung und Schlickdeponien das Nachbarland nun auch noch für die Elb-Bausünden Hamburgs herhalten müsse.

Es bewegt sich wenig: Ein länderübergreifendes Konzept des Küstenschutzes werde auf Initiative des Hamburger Senats von einer Länderarbeitsgruppe erarbeitet, heißt es lediglich dazu in der Baubehörde. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Aber weder Klimaveränderungen noch Sturmfluten machen vor Ländergrenzen halt. Vera Stadie