Norddeutschland soll aufstehn

■ Die IG Metall will das gute alte Tarifrecht retten - die "Säule des westdeutschen Wirtschaftswunders"

retten — die »Säule des westdeutschen Wirtschaftswunders«

„Kinder, macht euch bloß nichts vor. Jetzt geht's an die sozialen Standards. Die wollen das Elend der Arbeitsbedingungen des Weltmarktes auch bei uns einführen. Die Krise kommt, kein Wirtschaftswunder.“ Der begnadete Zocker und Linksaußen Thomas Ebermann, vor seinem inneren Exil in die außerwahrnehmbare Linke einst grüner Bundestagsabgeordneter, hatte es schon 1989 während der Wende prophezeit. Jetzt, nur vier Jahre später, ist auch die IG Metall aufgewacht. Unter dem Slogan „Norddeutschland steht auf!“ sollen Metaller am 17.März von Stralsund bis Emden ab 13 Uhr zeigen, wo der Hammer hängt: „Die Wirtschaftskrise spitzt sich zu. Das Chaos wächst. Wir sagen: Jetzt reicht es! Ganz Norddeutschland wehrt sich gegen Rechtsbruch bei den Tarifverträgen, gegen weitere Arbeitsplatzvernichtung und gegen Umverteilung von unten nach oben.“

Anlaß, so erläuterte Frank Teichmüller, hochaktiver Chef des IGM-Bezirks „Küste“, sind schlappe 13 Millionen Mark Streitwert. Ganz Norddeutschland soll aufstehen wegen ganzer 13 Millionen Mark monatlich? Beim Streit, ob die Löhne der Metaller im deutschen Osten zum 1.April um 22 Prozent, wie 1991 vereinbart, oder bloß um neun Prozent erhöht werden sollen, wie jetzt von den Metallarbeitgebern vorgeschlagen, geht es tatsächlich um eine vergleichsweise kleine Differenz im gesamten Lohnkuchen.

Die These der Arbeitgeber, nur mit weiterem Lohnverzicht ließe sich der Aufschwung Ost voranbringen, wurde jedenfalls bislang nicht so recht belegt. Kennzeichnend dafür ist das Verhalten von Oswald Müller, Chef der Meeres- Technik-Werft in Wismar, derzeit auch Verhandlungsführer für Nordmetall: Er sicherte seinen Werftarbeitern persönlich zu, sie würden selbstverständlich ab 1.April die vereinbarten höheren Löhne erhalten. Am Verhandlungstisch dagegen blieb er beim Njet und erklärte, in seinem Betrieb sei glücklicherweise eine Ausnahme möglich.

Teichmüller schlußfolgert messerscharf, es müsse dann wohl etwas anderes dahinterstehen: „Es geht um die Zerschlagung des heutigen deutschen Tarifrechts.“ Dabei, so Teichmüller, „stellen sich die Arbeitgeber geschickt an“. Andere Gewerkschaften wurden ruhiggestellt — ÖTV und Chemie erhalten beispielsweise die vereinbarten Erhöhungen. Küsten-Metaller Frank Teichmüller: „Auch unsere Mitglieder, vor allem im Westen, kapieren das Problem nicht. Sie glauben, es handle sich bloß um einen Tarifkonflikt.“

Dabei hat es schon der Streit um die Tarife mächtig in sich: Heute verdienen Metaller in Mecklenburg- Vorpommern mit 1760 Mark Grundlohn gerade mal 50 Prozent der Effektivlöhne ihrer Kollegen in Schleswig-Holstein. Wenn in der Volkswerft Stralsund die Leiharbeiter der Firma Trave-Technik (mit Westlöhnen) Schulter an Schulter mit den normalen Werftarbeitern (Ostlöhne) arbeiten, sind die Spannungen eines derart unterschiedlichen Entlohnungssystems in einem Land fast körperlich spürbar. Auch der Sprung von 1760 auf 2144 Mark, wie einst vereinbart, bietet den Arbeitgebern im Osten noch immer einen Lohnkostenvorteil von 30 bis 40 Prozent gegenüber dem Niveau im Osten.

Teichmüller schwant Schlimmes: „Die Kollegen im Westen werden sich wundern, was auf sie zukommt, wenn wir hier nicht aufpassen.“ Aufweichen der Lohn-, Tarif- und Sozialstandards im Osten, um dieses Modell dann in den Westen zu importieren — diese einst von Thomas Ebermann prophezeite Strategie ist in Teichmüllers Augen heute tarifpolitische Wirklichkeit. Als Hauptgegner sieht er dabei nicht einmal den Arbeitgeberverband Gesamtmetall: „Die sind politisch aus Bonn unter Druck. Dabei ist das Wahnsinn. Gesamtmetall hat kürzlich selbst vor der englischen Krankheit gewarnt. Ohne ein einheitliches Tarifrecht als Rahmen bricht doch bei der zwischenbetrieblichen Konkurrenz das Chaos aus.“

Es gelte, so meint die norddeutsche IG Metall, die Metallarbeitgeber vor ihrer eigenen Unvernunft zu bewahren und das deutsche Modell sozialpartnerschaftlicher Tarifpolitik zu retten. Teichmüller ist optimistisch, daß dies gelingt, obwohl die Situation gegenwärtig total verfahren scheint: Die IGM wird nicht von ihrem beschlossenen Tarifvertrag abrücken, Gesamtmetall nicht mehr draufspringen. Oder doch? Die IGM sieht sich gegenwärtig jedenfalls in der Pflicht, die Muskeln spielen zu lassen, damit die etwas einsichtigeren Funktio-

1näre bei Gesamtmetall gesichtswahrend einen Teilrückzug einleiten können. Dazu soll zunächst der Aufstand am 17.März dienen, an dem sich auch der DGB und einige

1Einzelgewerkschaften beteiligen wollen. Und wenn am 31.März die Friedenspflicht endet, wird es wohl zu ausgedehnten Warnstreiks kommen. Florian Marten