Man muß das Zeichen tragen

■ In der Waller Vegesackerstraße befindet sich das Guttempler-Haus West mit seinen Hilfseinrichtungen

In Walle gibt es viele Kneipen, auch wenn das die Szene aus dem „Viertel“ nicht so recht glaubt. Es sind typische Nachbarschaftskneipen, Arbeiter- und Kleinbürgermileu, Holztische rustikal, Blumentöpfe auf der Fensterbank und diese braunen oder grünen Vorhänge. Oft ist schon am Vormittag voller Betrieb und die Luft zum Schneiden dick. Ein Musterbeispiel dieses Kneipentypus liegt in der Vegesacker Straße. Vormittags um zehn ist der Laden voll mit Männern und Frauen zwischen 40 und Mitte 50. Und ist doch gar keine Kneipe! Es ist das Cafe des Guttemplerhauses West, und kein Tropfen Alkohol wird hier ausgeschenkt.

„Wer noch unter Dampf steht, der braucht Kneipenausstrahlung“, erklärt der Sekretär des Guttemplerhauses, Gerhard Kardoeus, die mimetische Kneipenausstrahlung des Cafes, und der tatkräftige Geschäftsführer Heino Klüver ergänzt: „Nüchterne Denkungsweise, das ist ein langer Prozeß“.

Das Guttempler-Cafe soll alkoholkranken Menschen helfen, den „Ernüchertungsprozeß“ durchzustehen oder allererst zu beginnen. Es ist Anlauf- und Kontaktstelle für Leute, die zum ersten Mal reingucken und die alkoholfreie Atmosphäre vorsichtig erkunden wollen. Andere kommen, die gezielt ein Beratungsgespräch suchen und esin dem hinteren Zimmer, das ein wenig einer Sakristei ähnelt, auch finden können. Dritte wieder haben mit Alkohol gar nichts (mehr) am Hut und treffen sich hier auf einen Kaffee per Selbstbedienung zum Plausch. Es ist immer was los.

„Ursprünglich“, erzählt der 1. Vorsitzende Carl Buns, „hatten wir — das ganze Haus gehört ja uns — die unteren Räume als alkoholfreie Kneipe verpachtet, aber die konnte sich gar nicht halten. Auch jetzt läuft es nur durch die ehrenamtliche Arbeit unserer Mitglieder und durch ABM- Unterstützung.“

Im Guttemplerhaus, dessen Treppenhaus streng nach Bohnerwachs riecht, gibt es noch die Büroräume einer Anlaufstelle andrer Art: der Beschäftigungsinitiative. „Diese Bezeichnung liegt mir gar nicht“, sagt Geschäftsführer Klüsing, „das klingt so nach bloßer Beschäftigungstherapie. Wir aber fertigen beste Tischlermöbel an, Betten, Stühle, Tische und so weiter. Die kauft die Sozialbehörde für für ihre Institutionen an. — Die Tischlerei selbst befindet sich in Bremen-Nord und hilft ehemaligen Abhängigen fast jeden Alters, sich wieder an einen geregelten Arbeitsprozeß zu gewöhnen und, wie Klüsing sagt, wieder zu lernen um fünf Uhr morgens aufzustehen...: „Wenn dann nach einem langen Arbeitstag der Laster vorfährt und die Möbel abholt, das stärkt enorm das Selbstbewußtsein.“

Links neben dem Guttempler-Cafe ist das Haus der Guttempler-Jugend mit Namen „Guddy“, das die Woche über geöffnet ist und, mit einer Erzieherin, eine Freizeit-Anlaufstelle für Jugendliche ist: „Schreiben Sie nicht, daß die alle aus Familein mit Suchtproblemen kommen“, sagt 1. Vorsizender Buns, „das stimmt nicht und es würde manchen Eltern Schwierigkeiten machen — es gilt eben zu leicht als verachtenswerte Schwäche, Alkoholiker zu sein.“

Die drei Männer tragen alle die kleine Guttempler-Anstecknadel: „Solange man dieses Zeichen nicht öffentlich tragen mag“, so Sekretär Kardoneus, „solange geht gar nichts.“ — Wie viele andere MitarbeiterInnen auch (und die meisten Mitglieder der Guttempler werden irgendwann Mitarbeiter, das gehört zum Konzept des Ordens), sind die drei Guttempler bereit, viel (unbezahlte) Arbeitskraft für die Guttempler zu geben: „Ich arbeite bis zu 60 Wochenstunden“, sagt Bruns, und Kardoeus lächelt: „Ich bin Rentner, so geht es...“.