Nicht denken, nur antworten

■ „Schreiben in der Fremde“ —eine Schreibgruppe von deutschen und ausländischen Jugendlichen

Gibt es eine freie Literaturszene in Bremen? Kreative SchreiberInnen, die mit ihren Texten eine Öffentlichkeit suchen? Einige Schreibgruppen geben ihre Treffpunkte bekannt. Die taz will sie der Reihe nach besuchen. Erst die Literaturpost, nun „Schreiben in der Fremde“, eine Gruppe deutscher und ausländischer Jugendlicher, die sich bei der (Schreib-)Lehrerin Ulrike Marie Hille treffen.

Kissen liegen auf dem Teppichboden des angenehmen Wohn-Zimmers, im Flur zieht man sich die Schuhe aus, Nicole, Susanne, Gritt und Yilmaz, die alle noch etwas schüchtern wirken, haben sich schon einen Platz gesucht, und zum Schluß kommt auch die fröhliche Özden reingeschneit. Die Schreibgruppe „Schreiben in der Fremde“ ist für heute vollständig.

„Wenn immer alle kämen“, sagt Ulrike Marie Hille, Lehrerin an der Gesamtschule Ost (GSO), und Leiterin dieser und einer Reihe von anderen Schreibgruppen mit leicht esoterischem Einschlag, „dann wären wir zehn. Aber man kriegt sie ja nie alle zusammen...!“

Ulrike Hille hatte die Gruppe vor zwei Jahren mit Unterstützung der Stadtbibliothek Osterholz-Tenever ins Leben gerufen, als Projekt für deutsche und ausländische Jugendliche aus Bremens Osten. Inzwischen kommen die SchreiberInnen aus allen Stadtteilen, man trifft sich zentral im Viertel.

Heute spielt Ulrike Hille die Regisseurin einer „Phantasiereise“. Bei medidativer Musik machen es sich alle bequem und fliegen dann, gesteuert von Hilles Worten, mit dem Ballon in ihr geheimes Heimatland. Die Lehrerin fliegt nicht mit: „Ich brauche eine Distanz.“ — Ja, etwas verschult geht es in der Schreibgruppe schon zu, auch wenn es um Gefühle und Phantasien geht, auch wenn niemand eine Zensur ausspricht und Ulrike Hille immer sagt: „Nicht denken, nur antworten!“. Die Lehrerin ist es, die fragt (“Wie ging es dir auf der Reise?“ — und später: „Wie ging es dir mit dem Text...“), die Lehrerin bestimmt die Spielregeln des Treffens.

Sie holt eine lange Papierbahn und legt Stifte bereit und nun soll jedeR Assoziationen zu der gerade gemachten Phantasiereise aufschreiben. Reihum dann ergänzt man die kurzen Texte der anderen, bis ein gemeinsamer neuer Text entstanden ist. Reihum sagt jede was dazu. Eine intellektuelle Herausforderung ist das nicht — „aber wir sind auch keine Schreibwerkstatt, in der es hauptsächlich um das Formale geht. Es geht um poetisches ganzheitliches Lernen.“

Die Jugendlichen sind es zufrieden. „Seit ich hier bin, schreibe ich nur noch“, sagt Özden, die ein dickes Heft mitgebracht hat, mit ihren Texten auf deutsch und türkisch, in welchen alle lesen dürfen. Alle schreiben auch für sich allein und empfinden die Gruppe als anregungsreiche Abwechslung. Yilmaz, heute der einzige Junge, weiß allerdings genau, daß er lieber „nach Gefühl schreibt, nicht nach Anweisung“, und außer Gritt legen sie alle größeren Wert auf das freie Schreiben.

Immer mal wieder gibt es Lesungen mit eigenen Texten, finden sie einen Anlaß zu Veröffentlichungen (wie letzten Oktober zur Aktionswoche „Rund um die Sucht“ in der GSO) und sie beteiligen sich an literarischen Wettbewerben. Dafür werden die Texte in der Gruppe vorgelesen und besprochen.

„Schreiben ist mein Trost, meine Zuflucht und gibt mir ein gutes Gefühl“, sagt Özgen euphorisch, und meint damit auch die Möglichkeit, ihr Fremdsein auszudrücken: das ihres Alters, das ihrer Nationalität. Auf ihrer Phantasiereise schwankte sie zwischen der Türkei und Bremen - sie hatte sich für Bremen entschieden, ohne sich sicher zu sein, ob sie wirklich hier hergehört. Cornelia Kurth