Village Voice
: Club der toten Gitarristen

■ oder doch der toten Dichter? Seemännisch und doch über weite Phasen kraftlos: „Weißes Papier“ von Element of Crime

Sven Regener ist der Sänger, bei dem man sich fragt: Hat der das alles selbst erlebt, lernt der tatsächlich ständig Frauen kennen, von denen er sich dann wieder trennen kann, um mit einer dicken Portion Wehmut einen Song über sie zu schreiben? Gibt es Frauen, die Sven morgens zuflüstern (so wie es Max Frisch gern von sich behauptet hat): bitte schreib nichts über diese Nacht, sie gehört nur uns! Ein paar Tage, Wochen, Monate später ist alles aus, Sven sitzt allein in seiner Kreuzberger Bude und trinkt Whiskey: „Ob das Erpressung ist, ist mir doch egal. Du wirst geliebt. Du hast die Wahl.“

Beim Gros der Regenerschen Texte, die er für „seine“ Band Element Of Crime schreibt, geht es aber gar nicht mehr um die dumme Germanistenfrage nach der Authenthizität. Sven Regener beschreibt seine Umgebung. Und wenn es ihm gut gelingt, wie bei der letzten, erstmals deutsch gesungenen Platte, dann kommen musikalische Kleinode zustande wie der Titelsong „Damals hinterm Mond“. Für mich nach mehr als drei Jahren ohne Mauer immer noch ein Lied, das ziemlich exakt das Lebensgefühl auf der vollgeschissenen aber blühenden Insel Kreuzberg vor 1989 beschreibt: „Und abends wußt' ich immer, wo du warst.“

Nach fünf englischsprachigen Alben war Element Of Crime in der Sackgasse. „Damals hinterm Mond“ dürfte die Band vor dem Zerfall gerettet haben. Aber was damals neu war, steht heute im Kontext von Deutsch-Rap, Blumfeld oder den Lassie Singers. Heute weiß keiner mehr, wo er sich befindet, und schon lange nicht, wo er eigentlich hingehört. Kreuzberg ist tot. Darüber gehört sich aber nicht gejammert. Bei den Hamburgern Blumfeld ist „das der Angriff der Gegenwart auf meine übrige Zeit“. Bei Element Of Crime dagegen schaut man auf ein leeres Blatt „Weißes Papier“. Nichts mehr zu sagen zur Gegenwart?

War die vorige Platte noch eine ziemlich runde Mischung aus Verdruß so großen Dingen wie Wut, Melancholie und Eitelkeit, so ist „Weißes Papier“ zwar wieder aus den gleichen Zutaten gebraut, bleibt aber über weite Phasen kraftlos. Ganz so, als sei der Titel Programm. Element Of Crime klingen wie eine geläuterte Rockband, die sich als bessere Chansontruppe durchzuschlagen versucht. Die Platte scheint vom Club der toten Gitarristen eingespielt. Umgebracht hat sie der Mann mit dem Akkordeon, und der ist munter und fidel.

Die Quetschkommode steht als wichtigstes Möbelstück, wahrscheinlich weil sie so schön handlich und zusammenfaltbar ist, in dem gammligen Campingwohnwagen, den Element Of Crime auf dem Plattencover von „Weißes Papier“ zu ihrem Domizil erklären. Darauf liegt Svens Trompete. Der Wohnwagen leuchtet gemütlich, wie von Kerzen erhellt, darüber schwebt ein Herz aus Glühbirnen. Jeder würde gern in diesem Wohnwagen sitzen, jeder. Wohl auch Sven Regener. Er hat sich an einen Ort phantasiert, den es nicht (mehr?) gibt. Stände der Wohnwagen tatsächlich in Berlin herum, dann wohl in einem zugemüllten Rollheimerdorf. Wer die für romantisch hält, wohnt längst in einem gutgeheizten ausgebauten Dachgeschoß mit Luxusbad. (Ganz so schlimm steht es noch nicht um Element of Crime, trotz Industrieplattenvertrag verdienen sie – „glücklicherweise“? – immer noch mäßig, heißt es.)

Gleich zu Beginn der Platte wird man dann auch noch fatal an Tom Waits, den Einsamkeitsästhetiker, erinnert. Eine schunkelige Liebesballade, mit Rumtata, Trompete und, als sei's gewollt, mit waitsiger Gitarre. Nach diesem noch recht munteren Auftakt, scheinen Element Of Crime dann von Stück zu Stück tiefer in eine Art melancholische Seemannsmusik abzudriften. Die Reise im Wohnwagen zum Meer, „das ich nicht wiedersehen darf, wo der Wind deine Haare vermißt“, macht man zunächst noch einigermaßen willig mit. Als Tramper fahren wir mit Svenie raus auf „schwere See, schwere See, mein Herz.“

Bei der dritten oder vierten Fahrt im Wohnwagen, kommt einem die Welt zunächst immer noch rund vor, es stört einen auch nicht, wenn der Fahrer freihändig Auto fährt und dabei Trompete spielt. Wenn der Wohnwagen dann aber endgültig auf einem Rummelplatz hält, der Motor verstummt, dann möchte man sich heimlich nach Hause davonstehlen. Andreas Becker

Element Of Crime: „Weißes Papier“ (Polydor)