„Sie war sein Ticket nach Deutschland“

■ Zwei Jahre Haft auf Bewährung für zwangsverheiratete Türkin, die ihren Ehemann mit Axtschlägen schwer verletzte

Moabit. Mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen versuchten Totschlags ging gestern der Prozeß gegen die 20jährige Türkin Fadime K. zu Ende. Die junge Frau hatte ihrem Ehemann, mit dem sie zwangsverheiratet war, mit einer Axt mehrmals auf den Kopf geschlagen. Nach dreitägiger Beweisaufnahme stand für die Jugendstrafkammer fest, daß der Mann die Tat nur durch „einen riesengroßen Zufall überlebt“ und die Angeklagte seinen Tod „in Kauf“ genommen hatte. Dennoch ging das Gericht von einem minderschweren Fall aus, weil Fadime K. von ihrem Mann ständig vergewaltigt worden war und ihm auch sonst „immer zu Willen zu sein hatte“. Das Gericht folgte mit dem Urteil dem Antrag des Staatsanwalts.

„Die Tat ist das Resultat verschiedener Kulturkreise, Weltanschauungen und Lebensweisen“, so der Vorsitzende Sachs. Wenn sich die in Deutschland aufgewachsenen Kinder türkischer Einwanderer von den streng religiös orientierten Elternhäusern loslösten, komme es oftmals zu erheblichen Spannungen und einem bisweilen sehr tragischem Ende.

Fadime K. war in Deutschland großgeworden und im Alter von 15 Jahren von ihrem Vater in einem anatolischen Dorf mit dem dort aufgewachsenen Indris K. zwangsverheiratet worden. Das Mädchen hatte sich mit Händen und Füßen gegen die Ehe mit dem Mann, den es nie zuvor gesehen hatte, gewehrt. „Sie wurde wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt“, sagte die Verteidigerin der Angeklagten, Angelika Voss, in ihrem gestrigen Plädoyer. „Er war 25 Jahre alt und wußte, wo es langgeht. Sie war noch nicht einmal aufgeklärt.“ Wenn sie dem Mann nicht willig gewesen sei, habe er sie mit Prügeln zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Obwohl Fadime K. gleich nach der Heirat schwanger geworden sei, habe sie es geschafft, das Kind sehr zu lieben. „Trotz der Aversion gegen den Vater, den sie von der ersten Minute an nicht ausstehen konnte.“

Nach der Heirat zurück in Deutschland, hatte sich Fadime K. laut ihrer Anwältin zunächst passiv dagegen gewehrt, daß ihr der Ehemann folgte, und sei von ihrem Vater deshalb mit Schlägen bestraft worden. Als sie von Scheidung gesprochen habe, hätte sie der Vater zur Strafe mit dem Baby ins Flugzeug in die Türkei gesetzt, um Indris K. zu besuchen. Auch diesmal: „Von Liebe keine Spur“, so die Anwältin. Ihre Mandantin sei zum einen „das Kopfgeld“ dafür gewesen, daß ihr Bruder Indris K.'s Schwester zur Frau bekommen habe. Und für Indris K. „war sie die Eintrittskarte nach Deutschland“. Nach seiner Ankunft in Berlin im vergangenen Februar habe Indris K. seine vermeintlichen ehelichen Rechte immer wieder mit Gewalt durchgesetzt. Auch in der Tatnacht habe der alkoholisierte Mann seiner Frau Gewalt angedroht, wenn sie nicht mit ihm schlafe. Im Prozeß hatte Fadime K. ausgesagt, sie habe ihrem Ehemann Auge in Auge mit dem Beil in der Hand gegenübergestanden. Als er seine Hände in Richtung ihres Halses erhoben habe, habe sie zugeschlagen. Bei der Polizei hatte sie früher einmal gesagt, Indris K. hätte zum Zeitpunkt der Axtschläge auf dem Bett gesessen. Jener wiederum hatte als Zeuge ausgesagt, bei der Tat im Bett geschlafen zu haben. In der Urteilsbegründung ging das Gericht von der Sitzvariante aus und befand, daß für Fadime K. somit keine Notwehrsituation vorgelegen habe. Schließlich habe sie das Beil aus dem Badezimmer geholt und hätte dabei „andere Möglichkeiten gehabt, sich aus der Affäre zu ziehen“, meinte der Vorsitzende Sachs. Auch daß Indris K. keine Abwehrverletzungen am Körper hatte, wertete das Gericht als Indiz dafür, daß die Beilschläge für ihn überraschend kamen. Die Verteidigerin hingegen war sich sicher, daß Indris K. das Beil in der Hand seiner Frau sehr wohl vor dem Schlag gesehen hatte: „Er hat einfach nicht geglaubt, daß sie die Axt benutzt. Er hat sie einfach nicht ernst genommen.“ Plutonia Plarre