: Hatz auf Pablo Escobar vor dem Ende
Der flüchtige kolumbianische Kokainboß Pablo Escobar, einst mächtigster Drogenhändler der Welt, scheint ausgespielt zu haben/ Von seinen Verfolgern immer mehr umzingelt ■ Von Ciro Krauthausen
Berlin (taz) – Während viele seiner engsten Vertrauten ihn verlassen haben und seine Familie von Terroranschlägen bedroht wird, scheint sich die Schlinge um den seit sieben Monaten von den kolumbianischen Behörden gesuchten Kokainhändler Pablo Escobar immer mehr zuzuziehen. Sein Schicksal erinnert an die Gangsterkönige unzähliger Kriminalfilme: Von der Zeit überholt, verscherzen sie es sich mit Freund und Feind, begehen immer mehr Fehler und werden trotz ihres verzweifelten Widerstandes in ein vorhersehbares Ende gehetzt.
Die Realität aber übertrifft die filmische Fiktion um ein Vielfaches: Escobar ist nicht irgendein Gangster, sondern der über Jahre hinweg mächtigste Kokainhändler Kolumbiens und damit einer der reichsten Menschen der Welt; die Häscher nicht ein unverfrorenes Grüppchen Cops, sondern Tausende von Polizisten, Geheimdienstlern und Kriminellen; und des Gangsters letzte Karten keine vereinzelten Morde und Erpressungsversuche, sondern die Destabilisierung eines ganzen Landes.
Die Flucht aus dem Knast: Verwirrung oder Kalkulation?
„Es war alles dunkel, konfus und widersprüchlich.“ In einem Interview erinnerte sich Escobar so an den Tag, an dem all seine Probleme begannen. Nachdem aufgeflogen war, daß er aus seinem Gefängnis heraus die Anführer der Kokain-Clans Moncada und Galeano mitsamt Leibwächtern hatte ermorden lassen, versuchte die kolumbianische Regierung am 22.Juli 1992 in einer durchweg dilettantisch geplanten Aktion, Escobar in eine Militärkaserne zu verlegen. Der Kokainunternehmer aber war verwirrt, befürchtete ein Attentat oder eine Entführung in die USA und entwischte auf einem für den Fall aller Fälle vorbereiteten Fluchtweg.
Diesem Eklat folgten dann monatelange Versuche, den selbstherrlichen Kokainboß eine Kapitulation nahezulegen – ähnlich wie 1991, als Escobar sich nach monatelangem Terror freiwillig der Justiz gestellt hatte, um in den Genuß eines Strafnachlasses für geständige Drogenhändler zu kommen. Doch diesmal scheiterten die Verhandlungen zwischen der Staatsanwaltschaft und den Anwälten Escobars an dem Unwillen der Regierung, dem Kokainboß erneut vergünstigte Haftbedingungen zuzugestehen.
Dann schaukelte sich der Konflikt hoch: Zusammen mit Hunderten von US-amerikanischen Drogenpolizeibeamten tasteten sich 2.500 Polizisten und Soldaten eines speziell gebildeten „Suchblocks“ immer näher an den wahrscheinlich noch in seiner Hochburg Medellin verweilenden Escobar heran und erschossen seine Sicherheitsbeauftragten „Täuberich“ und „Tyson“. Daraufhin griff Escobar auf bereits in dem „Drogenkrieg“ 1989 und 1990 bewährte Methoden zurück: Erst ließ er in der Millionenstadt Medellin über 80 Polizisten ermorden, und dann entfesselte er auch in der Hauptstadt Bogotá einen Bombenkrieg, bei dem bislang 45 Menschen getötet und 275 verletzt wurden.
Wie schon während des Drogenkrieges zielt der Terror darauf ab, die eigene Macht unter Beweis zu stellen, die Bevölkerung zu verängstigen und so die Regierung zu Verhandlungen zu zwingen. „Von nun an werden die Bedingungen dieses Dialogs die gleichen sein, wie sie für rebellierende Gruppen wie Guerilla oder Subversion gelten“, schrieb Escobar im Januar dem Generalstaatsanwalt Gustavo de Greiff und gründete flugs die nach seiner Heimatprovinz benannte pseudopolitische Bewegung „Rebellisches Antioquia“.
Doch die Zeiten, in denen Escobar die Regierung mit Gewalt zum Einlenken zwingen konnte, scheinen vorbei – nicht zuletzt hat er sich dafür zu viele Feinde gemacht. Ein Blick auf die Zusammensetzung des auf Escobar ausgesetzten Kopfgeldes von 19,5 Millionen US- Dollar enthüllt ein Who's who nicht nur der Drogenbekämpfung, sondern auch des Drogenhandels: Mit ihren Beiträgen vertreten sind neben der kolumbianischen Regierung und der US-Drogenbehörde DEA auch die ihrer Anführer beraubten Clans der Moncada und Galeano sowie die CIA, die mit Escobar und Konsorten noch in den achtziger Jahren gemeinsame Sache gemacht hatte, um die Contras in Nicaragua zu finanzieren.
Und dann sind da noch die „Pepes“, die „von Escobar verfolgten Personen“, die es dem Kokainboß mit gleicher Münze zurückzahlen: In den letzten zwei Wochen verwüsteten sie mit Bombenanschlägen mehrere Grundstücke der Familie Escobar, zündeten des Drogenhändlers geliebte Oldsmobile- Sammlung an und ermordeten den Geschäftsmann Luis Guillermo Londoño White, einen angeblich engen Vertrauten Escobars.
Wer sich hinter den „Pepes“ verbirgt, ist unklar: In Frage kommen sowohl die auf Rache sinnende Polizei Medellins als auch die Kokainkonkurrenten aus der drittgrößten kolumbianischen Stadt Cali.
Die inoffizielle Allianz der Gegner Escobars sowie ihre brutalen Methoden zeigen Wirkung: Seit Sonntag haben sich fünf enge Vertraute den Behörden gestellt, und ein weiterer, Hernán Henao, ist von der Polizei erschossen worden. Der Kokainunternehmer selbst fürchtet offensichtlich um das Leben seiner Frau und seiner zwei Kinder. In einem Interview mit der New York Times bot Escobar seine bedingungslose Kapitulation an, wenn seiner Frau und seinen beiden Kindern die Einreise in die USA gestattet würde.
Ob es ihm dabei um etwas anderes geht, als seine Familie vor den „Pepes“ in Sicherheit zu bringen, dürfte bezweifelt werden: nicht nur, weil Escobar schon oft damit taktiert hat, sich den Behörden zu stellen, sondern auch, weil sogar bei einer Kapitulation sein Leben in Gefahr wäre. Nicht lebend oder tot wollen die meisten seiner Feinde Escobar sehen, sondern einfach nur tot.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen