Dem Licht des Südens auf der Spur

Die folgenreiche Reise der Maler Klee, Macke und Moilliet nach Tunesien  ■ Von Christel Burghoff

„Nachmittags erscheint die afrikanische Küste. Später deutlich erkennbar die erste arabische Stadt. Sidi-Bou-Said, ein Bergrücken, worauf streng rhythmisch weiße Hausformen wachsen. Die Leibhaftigkeit des Märchens, nur noch nicht greifbar, sondern fern, ziemlich fern, und doch sehr klar.“

Dienstag, der 7. April 1914: Die Maler Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet kommen in Tunis an. Die eintägige Überfahrt von Marseille aus war stürmisch. Tunesien ansteuernd, werden die Maler vom hellen Licht, den „brennenden“ und intensiven Farben von Wasser und Luft überrascht. Klee notiert aufgeräumt in sein Tagebuch: „Die farbige Klarheit am Lande ist verheißungsvoll. Macke spürt das auch. Wir wissen beide, daß wir hier gut arbeiten werden.“ Das Trio wird von einem Gönner Moilliets, dem Schweizer Arzt Jäggi, abgeholt und logiert dann, bis auf Macke, in dessen Wohnung. Sowohl Moilliet (34 Jahre alt) als auch Klee (35, Vater eines kleinen Kindes) und Macke (27 Jahre und auch Familienvater) stehen am Karrierebeginn. Geldnöte erschwerten die Reiseplanung. Die Idee zur Tunisreise kam von Klee. Zeit seines Lebens zog es ihn in den Süden. Ohne sinnliche Eindrücke und ohne Naturbezug konnte er sich, wie er als Bauhauslehrer später betonte, die Malerei nicht vorstellen.

Ein erster Reiseplan, gemeinsam mit Moilliet 1913 nach Tunesien aufzubrechen, scheiterte an Moilliet. Zur Jahreswende 1913/14 klappt es dann: man beschließt für Ostern die Fahrt zu dritt. Die Maler haben Ideen und Pläne, sie wollen dem Licht auf die Spur kommen, diesem hellen nordafrikanischen Licht, das die Farbe erst zur Farbe macht und Konturen auflöst, bis – so hoffen sie – sich Farbeindrücke zum Wahrnehmungs- und Gestaltungsprinzip schlechthin verselbständigen.

Viele Maler waren von diesem Traum angezogen, vor allem Robert Delaunay, dessen Schrift „Sur la lumiere“ Klee 1913 für die Zeitschrift Sturm übersetzte. „Diese raumbildenden Energien der Farbe zu finden, statt sich mit einem toten Helldunkel zufrieden zu geben“, umschreibt Macke das Ziel der Studienreise. Zwei Jahre zuvor hatte Matisse aus Marokko betörend schöne Bilder mitgebracht, in reinen und empfindungsgesteuerten Farben, Erholung für das Gehirn. Die Konfrontation mit dem Orient hatte die Kompositionstechnik verändert. Durch Delaunay waren die drei Maler auf Farbe pur eingestimmt.

Moilliet kennt Tunis schon. Macke hat vom Orient bislang im Stil von „Tausend und einer Nacht“ geträumt und einige ornamentale Bilder gemalt – leicht erotisch, leicht verkitscht. Für Klee ist alles Neuland. Zügig gehen die Maler in Tunis an die Arbeit, skizzieren, kolorieren, sammeln Eindrücke und setzen sie spontan um. Klee hat beständig Kompositionsformeln im Kopf: „Die Synthese Städtebauarchitektur – Bildarchitektur in Angriff genommen“, notiert er, oder: „Das Ried- und Buschwerk ist ein schöner Fleckrhythmus.“ Anschauung scheint sich ihm automatisch mit Abstraktion zu verbinden. Macke fotographiert noch neben der Mal- und Skizzenarbeit. Nur Moilliet produziert relativ wenig, er scheint sich nicht ins pralle Licht zu trauen. Die Beziehungen untereinander sind nicht spannungsfrei. Klee moniert sich mitunter über den Gastgeber: „Doktor Jäggi komisch, trocken und nüchtern, fühlt hier keine Heimat. Fühlt nur Klima und Geld. Sehnt sich schweizwärts, mir fremder als der nächste arabische Bettler.“

Die Maler jagen Eindrücken hinterher, die sie mit traumwandlerischer Sicherheit in neuartige Bildkompositionen übersetzen – die Begeisterung für das orientalische Ambiente hat zumindest Klee und Macke einen enormen Arbeitskick versetzt. Man bemalt zu Ostern für Jäggis kleine Tochter Ostereier und sogar die Wände von Jäggis Haus am Meer. Der Landsitz des Doktors in St. Germain, in den die Maler nach drei Tagen aufbrechen, gibt vor allem für Macke und Moilliet etliche Motive für Aquarelle in den sattesten Farben ab. Der Blick von der Terrasse in die Berge, der Blick in den Garten, in den Innenhof: Mackes Farb- und Formenstil reift augenfällig. Insgesamt produziert Macke an die 50 Aquarelle und zahllose Zeichnungen, desgleichen Klee. Es entstehen schnelle Studien von Tieren und Menschen und von Szenen im Basar, kolorierte Ansichten von Landschaften, von architektonischen Formen – alles Arbeiten von intensiver Lebendigkeit. Macke ist stark auf die sinnlichen Eindrücke fixiert, Klee reflektiert die Motive stärker und experimentiert, „machte seine kleinen Vierecke“, wie Moilliet später berichtet, er arbeitet wie ein „Pillenmistdrehkäferheiliger“, was nach Klee soviel heißt wie: „immer wieder probieren, ob es rollt, abnehmen, herummessen“. Sukzessive verändert sich dabei die Arbeitstechnik, sie malen sich frei. Die Perspektive verliert sich, statt dessen kommt das Flächige ins Bild – ein Schritt zum konsequent aperspektivischen Bildgefüge aus frei kombinierten (Farb-)Motiven.

Nach neun Tagen erreichen die Maler mit dem Zug Kairouan, und Klee erlebt sein Coming-out. In seinem Tagebuch vermerkt er die berühmt gewordenen Sätze: „Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiß. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Zügig will er nach Tunis zurück. In Jäggis Wohnung nimmt er ein ausgedehntes Bad, und dann feiert er seinen Erfolg mit einem einsamen Festmahl. Nach nur zwölf Tagen schifft er sich wieder nach Europa ein, randvoll mit Eindrücken und mit Material für Jahrzehnte. Macke und Moilliet reisen wenige Tage später ab. Die Ergebnisse der Tunesienreise dieser drei Maler werden in der Kunstgeschichtsschreibung außerordentlich hoch bewertet. Macke emanzipierte sich mühelos vom klassischen Orientbild der Europäer und vollendete seine Kompositionstechnik. Der Orient wurde neu und in kaum gekannten Farben dargestellt. Klee änderte seine Technik; die Folgen in der abstrakten Kunst wurden erst Jahre später richtig spürbar, nach einer Zeit radikaler, subjektiver Selbstbesinnung während der dann folgenden Kriegszeit. Macke wurde im August 1914 zum Kriegsdienst eingezogen. Wenige Wochen später ist er tot. Moilliet konzentrierte sich fortan völlig aufs Aquarell. Er blieb unruhig und reiste sein Leben lang weiter durch Nordafrika, der Natur und dem Licht hinterher.

Quelle: „Die Tunisreise. Klee- Macke-Moilliet.“ Hrsg. von E.G. Güse, Stuttgart 1982.