Der Affe und der Schlammschläger

■ Short vergißt seine Beschimpfungen und schließt eine Allianz mit Kasparow

Berlin (taz) – Nigel Short stand noch nicht einmal als Herausforderer von Weltmeister Garri Kasparow fest, da hatte er den Krieg schon lautstark eröffnet. Vor und während des Kandidatenfinales, bei dem er den Niederländer Jan Timman besiegte, eröffnete der Brite eine Schlammschlacht, die einem Schwergewichts-Boxkampf würdig gewesen wäre. Kasparow wäre ein „unerfreuliches Individuum“ war noch eine der freundlicheren Formulierungen. Der Weltmeister aus Georgien wäre nicht „in der Lage zu normalen menschlichen Beziehungen“, zog Short vom Leder und beschimpfte seinen zukünftigen Kontrahenten schließlich gar als Affe.

Kasparow selbst blieb ruhig und freute sich: „Ich bin Nigel dankbar, daß er soviel Aufmerksamkeit auf das Match lenkt. Denn vom rein Schachlichen her wäre das Interesse bei weitem nicht so groß.“ Nicht nur Kasparow, sondern auch ein Großteil der Experten ist sich sicher, daß alles andere als ein klarer Erfolg für den Mann aus Baku eine Überraschung wäre. Shorts einziger Vorteil ist sein Kampfgeist, die Fähigkeit, unter Druck sein bestes Schach zu spielen. In allen Qualifikationsspielen beging der 27jährige katastrophale Fehler, die im Analyseraum mit ungläubigem Staunen registriert wurden. Aber je vernichtender die Niederlage ausfiel, desto vehementer fegte er am nächsten Tag seinen Gegner vom Brett.

Der Schlagabtausch unter der Gürtellinie dient denn wohl vor allem der mentalen Vorbereitung des Herausforderers, denn wer haßt, spielt aggressiver. Und gegen Kasparow, der das offensive Spiel liebt, ist Angriff noch immer die beste Verteidigung.

Daß es mit den persönlichen Aversionen nicht so weit her sein kann, zeigt die Allianz, die die beiden nun gegen den Internationalen Schach-Verband FIDE bilden. Der hatte die im September beginnende WM-Serie über 24 Partien nach Manchester vergeben. Letzte Woche meldeten sich Weltmeister und Herausforderer in überraschender Einmütigkeit zu Wort: „Es ist offensichtlich, daß der FIDE nicht die Organisation des wichtigsten Schach-Wettbewerbs der Welt anvertraut werden kann.“ Sie selbst wären nicht zum Austragungsort befragt worden und lehnten deshalb Manchester kategorisch ab. Statt dessen kündigten sie an, ihren eigenen professionellen Schach-Verband gründen zu wollen. Außerdem riefen sie andere Städte auf, ihre Angebote in versiegelten Briefen zu schicken. Diese sollen in drei Wochen geöffnet und anschließend über den Spielort entschieden werden.

Am Preisgeld wird es nicht gelegen haben. Der Gewinner sollte fünf Achtel der insgesamt zwei Millionen US-Dollar bekommen, der Verlierer den Rest. Vielmehr wird gemunkelt, daß diese versuchte Entmachtung der FIDE, die von beiden Spielern als Selbstbedienungs-Bürokratie verdächtigt wird, eine späte Rache von Kasparow an FIDE-Präsident Florencio Compomanes ist. Der Philippino hatte 1985 den Abbruch des WM-Marathons zwischen Kasparow und dem damaligen Champ Anatolij Karpow nach fünf Monaten und 48 Partien befohlen. Kasparow wähnte sich damals auf der Siegerstraße gegen das Nervenwrack Karpow. Thomas Winkler