Balkanisierung oder afrikanische GUS?

■ Eritrea löst sich von Äthiopien, Somaliland will von Somalia unabhängig werden: Nach dem Zerfall beginnt am Horn von Afrika die politische Neuordnung

Ein langfristiger Wiederaufbau Somalias ist im nationalen Rahmen allein nicht möglich. Die jahrelange Krise hat dazu geführt, daß die Somalier stark von den Nachbarländern abhängig geworden sind. Mit Äthiopien und Dschibuti bildet Somalia heute einen potentiellen Wirtschaftsraum, dessen verschiedene Bestandteile nicht getrennte Wege gehen können.

Sowohl Somalia wie auch Äthiopien bestehen heute de facto aus zwei politischen Einheiten, wobei deren innerer Zusammenhalt in Somalia viel schwächer ist als in Äthiopien. Der Süden Somalias wird zur Zeit von der US-geführten Interventionstruppe und ab Mai von der UNO kontrolliert; der Norden um Hargeisa und Berbera erklärte sich im Juni 1991 unter Führung der „Somalischen Nationalbewegung“ (SNM) als „Republik Somaliland“ unabhängig, hat sich aber nie als Staat konstituieren können. In Äthiopien hat sich seit dem Sturz der Mengistu-Diktatur 1991 eine starke Zentralregierung unter Führung der „Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) etabliert, die aus der Guerilla in der Provinz Tigre hervorging; die Provinz Eritrea am Roten Meer wird von der Ex-Guerilla „Eritreische Volksbefreiungsfront“ (EPLF) regiert.

Weder die Bewohner Somalilands noch die Eritreas zeigen große Neigung, sich je wieder von Mogadischu beziehungsweise Addis Abeba aus regieren zu lassen. Die UNO hat dazu keine einheitliche Position bezogen. Während sie Somaliland als Teil Somalias betrachtet und unter das Mandat ihrer Blauhelmtruppe bringen will, wird Eritrea höchstwahrscheinlich nach einem für den 23. bis 25. April angesetzten Referendum unabhängig und UNO-Mitglied.

Die beiden nächsten Brennpunkte der Region stehen somit bereits fest. Unweigerlich steht die Zukunft Äthiopiens dabei im Mittelpunkt. Eritrea wird aus den anerkannten Grenzen Äthiopiens herausgelöst; Somaliland hat sich wirtschaftlich eng mit der Ogaden- Region Äthiopiens verknüpft, für die es einen neuen, leichteren Zugang zum Meer und damit zum Außenhandel bietet. Diese Regionen Äthiopiens waren im Laufe des letzten Jahres Schauplatz bewaffneter Konfrontationen zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der „Oromo-Befreiungsfront“ (OLF) – der politischen Organisation, die das größte Volk Äthiopiens vertritt, im Juni 1992 aus der Regierungskoalition ausschied und seitdem in die bewaffnete Opposition gegangen ist. Auch unter der Oromo-Bevölkerung in diesen Gebieten ist die Zugehörigkeit zu Äthiopien, die erst durch Eroberungskriege um die Jahrhundertwende hergestellt wurde, keineswegs unumstritten.

Sezessionen ohne Ende?

Äthiopier sind sehr geteilter Meinung darüber, ob die internationale Gemeinschaft im Namen des Selbstbestimmungsrechts die Gründung immer neuer Staaten am Horn von Afrika zulassen soll oder nicht. Sezession könnte ein Prozeß ohne Ende sein, warnte unlängst in Berlin der eritreische Professor Tesfation Medhane: „Es wird immer Gruppen geben, die sich für anders genug halten, um sich vom Nachbarn abzuspalten.“ Medhane schlägt einen „Rat“ aus allen Völkerschaften der Region vor, der den Grundstein für eine „Konföderation“ unabhängiger Staaten bilden könnte.

Die Idee, die Konflikte am Horn von Afrika durch eine Art GUS zu entschärfen, ist nicht viel abwegiger als die Modelle, die innerhalb Somalias und Äthiopiens bereits verfolgt werden. Die somalische Versöhnungskonferenz am 15. März wird sich mit der Möglichkeit einer Aufteilung Somalias in weitgehend autonome Regionen beschäftigen. In Äthiopien wurde im Sommer 1991 auf einer Nationalkonferenz die Regionalisierung des Landes entlang ethnischer Linien beschlossen, so daß die Oromo-, Tigre-, Amharen- und andere Völker ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln könnten. Die Regionalwahlen im Juni 1992 wurden jedoch von der EPRDF-Zentralregierung manipuliert; seitdem liegt die Regionalisierung auf Eis.

„Ein balkanisiertes Äthiopien kann nirgendwohin führen; andererseits geht ein zentralisiertes Äthiopien nicht mehr“, beschreibt ein Mitglied der oppositionellen „Äthiopischen Bewegung für Frieden. Demokratie und Einheit“ (MEPDU) die verfahrene Situation. Viele Beobachter werfen der Tigre-dominierten EPRDF-Regierung Hegemoniestreben vor. Durch die Gründung von EPRDF- Satellitenorganisationen unter den verschiedenen Nationalitäten entstehe, so der Entwicklungssoziologe Günter Schröder, eine „faktische Einparteienherrschaft“ in vielen Regionen, die auf den Strukturen der kommunistischen Mengistu-Diktatur aufbaut. OLF-Vorsitzender Lencho Letta konstatiert gegenüber der taz eine „Zermürbungstaktik“ der Regierung gegenüber jeglicher Opposition.

Auch die Art der Loslösung Eritreas von Äthiopien wird kritisiert: Auf dem Rücken der Äthiopier habe die EPRDF Eritrea an ihre Freunde aus Guerillazeiten verschachert, meint der äthiopische Soziologe Dereje Alemayehu. Er kritisiert die EPRDF als „Handlanger der EPLF“. Ähnlich äußern sich Vertreter der MEPDU, wobei sie auch bemängeln, daß die EPLF ein Mehrparteiensystem erst nach dem Referendum einführen will. Die Präsidenten Äthiopiens und Eritreas seien sich einig, sagt ein MEPDU-Sprecher, „aber die Äthiopier und Eritreer nicht“. Strittig ist zum Beispiel die Zukunft des eritreischen Hafens Assab am Roten Meer, der für den äthiopischen Außenhandel wichtig ist. Er liegt nahe der Grenze zu Dschibuti, und es gibt Bestrebungen, aus dem Westen Dschibutis und dem Gebiet um Assab einen eigenen Staat für das Afar-Volk zu zimmern. Nach der Unabhängigkeit Eritreas, befürchtet Alemayehu, wird die äthiopische Opposition versuchen, die in Eritrea lebenden Afar als bewaffnete Rebellen aufzuwiegeln.

Diese äthiopischen Schwierigkeiten könnten für Somalia wichtige Erfahrungen bilden. Eine Stabilisierung Äthiopiens ist Voraussetzung für eine Stabilisierung Somalias, da sonst die Grenzregionen Äthiopiens als Rückzugsgebiet für somalische Milizen dienen können. Einiges spricht dafür, daß Äthiopien für Somalia als politisches Modell dienen will. Der äthiopische Präsident Meles Zenawi betätigte sich im Januar als Vermittler bei der Konferenz somalischer Kriegsfraktionen in Addis Abeba und wird dies sicher auch bei der Folgekonferenz ab 15. März tun. Welchem somalischen Kriegsherrn dies am meisten nützt, bleibt offen; in der Vergangenheit war es General Farah Aidid, Herrscher über große Teile Mogadischus, der als einst in Äthiopien stationierter Guerillakommandant die besten Beziehungen zum äthiopischen Staat besaß. Dominic Johnson