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: Modell Alhambra

Rund sieben Prozent der europäischen Bevölkerung, 25 Millionen Menschen, sind Muslime. Dennoch gilt der Islam im Westen als fremd oder als Bedrohung. Europa hat von seinen „Mohammedanern“ überaus simple Bilder und Begriffe: Masse, Hinterwelt, Strenge, Geschlossenheit und Gefahr. Diese Autosuggestion ist besonders feindbildfähig, weil ihr alle sozialen Schichten und politischen Lager irgendwann erlegen sind: die rassistische Rechte, die republikanische Mitte, die sozialistische Linke. „Die Abwehr des Islam eint die zerstrittenen Europäer“, schreibt der in Gießen lehrende Politikwissenschaftler Claus Leggewie in seinem aktuellen Essay. Der Abschottung Europas gegenüber dem Islam stellt Leggewie ein Modell gegenüber, in dem Islam und christlich geprägter säkularer Westen sich füreinander öffnen: die Konstellation der „Alhambra“. Unter dem Einfluß des Westens werde sich der Islam zusehends säkularisieren, während „eine gewisse Islamisierung des christlichen Abendlandes“ diesem durchaus zuträglich sein könne, meint Leggewie. Dem Westen könne „der Einbruch der fremden, aber verwandten Tradition die Wiedererkennung der anderen, übernatürlichen Seite der modernen Welt“ erleichtern.

Zentrales Element seines Essays ist das Kapitel zur „Alhambra“, jener „Roten Burg“ (arabisch: Qal'at al-Hamra) im spanischen Granada, die zum Ende der maurischen Periode gebaut wurde. Das Bauwerk ist bis heute Symbol der arabischen Präsenz in Europa. Die maurische Mischkultur ist für Leggewie historisches Vorbild für eine multireligiöse Gesellschaft. Die maurische Periode sei von „kultureller Fusion, Konversion und Konflikt“ geprägt gewesen. Diese „Alhambra“- Konstellation gelte es heute „behutsam“ und „zeitgemäß“ zu rekonstruieren.

Um die Möglichkeiten hierzu auszuloten, recherchierte Leggewie dort, wo Islam und Westen heute ineinandergreifen: Er beschäftigt sich mit den schwarzen Muslimen in Los Angeles, mit der Situation türkischer Gläubiger in Frankfurter Moscheen und der aktuellen Situation in der ehemaligen französischen Kolonie Algerien. Ausführlich widmet sich der Autor dem iranischen Mordaufruf gegen Rushdie und den Problemen eines islamischen Säkularismus. Dem Islam nähert sich Leggewie ausdrücklich als „nur“ interessierter Laie. Den akademischen Kollegen von Islamkunde, Arabistik und Orientwissenschaften versetzt der Politikwissenschaftler eine schallende, aber berechtigte Ohrfeige. Diese „Zünfte“ hätten „sich selbst zu Orchideenfächern degradiert“ und kaum etwas zum Verständnis der Konflikte zwischen Orient und Okzident beigetragen. Letzteres kann man dem akribisch recherchierten und sensibel geschriebenen Essay nicht vorwerfen. Thomas Dreger

Claus Leggewie: „Alhambra – Der Islam im Westen“. Essay. rororo aktuell Nr. 13274, 1993, 14.-DM