Meuterei auf der Bonnty

■ Unionsfraktion: contra Mineralölsteuererhöhung, aber pro Vignette/ Damit wird Kohl die Gefolgschaft verweigert/ Schäuble moderiert erfolglos ab/ Hessen-Wahl weckt Ängste

Bonn (taz) – „Ein ganz normaler Vorgang“ – so lautete die offizielle Sprachregelung von Kohl und Schäuble für die erste Revolte gegen den Kanzler. Allerdings mühte sich gestern das Führungspersonal der Union vergeblich, das Votum der CDU/CSU-Fraktion gegen die Koalitionsabsprachen über die Mineralölsteuererhöhung herunterzuspielen. Denn erstmals in elf Jahren hatte die CDU/CSU-Fraktion ihrem Chef die Gefolgschaft offen verweigert und gegen eine Entscheidung der Koalitionsspitze gestimmt.

Völlig überraschend hatte sich am Donnerstagabend in der Fraktion der Unmut über die Verkehrsbeschlüsse und andere Pleiten zu einer Mehrheit verdichtet, die nun doch fordert, was die Koalition mit einer eleganten Formel zu Grabe getragen hatte: eine Mixtur von Verkehrsabgaben schon ab 1. Januar 1994. Kein Verzicht auf die Vignette, heißt nun die Losung, damit die Mineralölsteuererhöhung niedriger ausfallen kann als die von der Koalition beschlossenen 13 Pfennige (plus Mehrwertsteuer, real also eher 15 Pfennige). Verzweifelt bemühte Kohl sich am Freitag, das Aufbegehren der Fraktion zu einem Prüfauftrag herunterzureden: „Das bedeutet doch noch keine Niederlage für mich.“

Die Koalition hatte die Einführung der Vignette, die von der FDP ganz abgelehnt wird, an entsprechende EG-Beschlüsse gebunden und damit de facto in unabsehbare Ferne vertagt. Beobachtern galt dieser Teil des Koalitionsbeschlusses vorrangig als Gesichtswahrungsaktion für Verkehrsminister Günther Krause (CDU), der sich für die Vignette stark gemacht hatte. Die Unionsfraktion will nun gegen die Einsicht ihrer Oberen – daß eine Zustimmung der EG zur Vignette lange dauern kann – mit dem Kopf gegen die Wand: es soll „mit Nachdruck auf die Herbeiführung der entsprechenden EG-Voraussetzungen hingewirkt werden“. Wortreich beteuerte vor allem Fraktionschef Wolfgang Schäuble, daß der Unterschied zum Koalitionsbeschluß haarfein sei. Fraktion und Koalition beurteilten lediglich die Chancen, diese Einigung in der EG schnell herbeizuführen, unterschiedlich. Auch der Bundeskanzler berief sich auf die unverbindliche Absichtserklärung pro Vignette: Es gäbe lediglich Differenzen darüber, wann sie eingeführt werden soll.

Die Beschwichtigungsversuche dürften dabei der Sache angemessen sein. Auch wenn Günther Krause bereits am 15. März mit seinen europäischen Ministerkollegen verhandeln wird, gilt eine Einigung als ganz unwahrscheinlich. In weiser Voraussicht heißt es denn auch in der Fraktionsmitteilung: „Läßt sich die Zustimmung der EG zu diesem Zeitpunkt nicht erreichen, bleibt es bei der vorgeschlagenen Erhöhung der Mineralölsteuer um 13 Pfennig.“

Aber die Verweigerung der Union gilt eben nicht nur der Sache. Als „Anfang vom Ende“ von Kanzler Kohl bezeichnete SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose gar den „Aufstand“ – eine Formulierung, die allerdings auch für den Parteifreund in Kiel zutreffen kann. Tissy Bruns Seite 4 und 10