"Ich will keinen Mann mehr, nie mehr"

■ Gespräch mit der zwangsverheirateten Türkin Fadime K., die ihren Mann mit einer Axt verletzt hatte / Sie rät Frauen in ähnlichen Situationen, nicht Gewalt anzuwenden, sondern Beratungsstellen...

Am vergangenen Freitag wurde die 20jährige Türkin Fadime K. von einer Jugendstrafkammer wegen versuchten Totschlags zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die junge Frau hatte ihren 30jährigen Ehemann Idris K., mit dem sie im Alter von 15 Jahren in der Türkei zwangsverheiratet worden war, in der gemeinsamen Wohnung in Wedding beinahe mit einer Axt erschlagen. Nach allem, was Fadime K. im Prozeß erzählte, war die Ehe für sie eine einzige Tortur. Zwischen dem Paar lagen Welten. Sie wuchs in Deutschland auf, er in einem anatolischen Dorf.

„Er widerte mich einfach an“, sagte Fadime K., die von ständigen Vergewaltigungen durch den Mann berichtete. Der im Prozeß als Nebenkläger anwesende Idris K. verfolgte die Angeklagte in den Pausen auf den Gerichtsfluren und quatschte unablässig auf sie ein. Erst am letzten Verhandlungstag fand die junge Türkin bei den Mitarbeiterinnen verschiedener Projekte für in Not geratene Frauen, die diesmal im Zuschauerraum saßen, Schutz und Ruhe. Seit ihrer Haftentlassung im vergangenen Herbst lebt die Türkin aus Angst vor dem Mann an einem geheimen Ort. Das gemeinsame Kind befindet sich vorläufig noch in einer Pflegefamilie.

Das Interview mit Fadime K. und ihrer Anwältin Angelica Voss entstand kurz vor der Urteilsverkündung.

taz: Sie waren 14 Jahre alt, als Ihnen Ihr Vater eröffnete, daß Sie einen fremden Mann heiraten sollen. Kam das für Sie überraschend?

Fadime K. Das kam aus heiterem Himmel. Erst habe ich es gar nicht geglaubt. Dann habe ich versucht, meinen Vater davon abzubringen, aber es ging nicht. Ich mußte die Schule verlassen, obwohl ich so gerne die neunte Klasse beendet hätte.

Sie haben vier Schwestern und zwei Brüder, wie haben die sich dazu verhalten?

Meine große Schwester hat nicht viel dazu gesagt. Die anderen fanden es überhaupt nicht gut, wußten aber auch nicht, was ich dagegen tun kann.

Kennen Sie andere türkische Mädchen, die von ihren Eltern zwangsverheiratet wurden?

Die Tochter meiner Nachbarin sollte auch einen Mann heiraten, den sie nicht wollte. Sie hatte sich in ihren Cousin verliebt, ist einfach mit ihm abgehauen und hat ihn geheiratet. Ihre Mutter hat es inzwischen akzeptiert. Es gibt hier einige türkische Frauen, die das gleiche wie ich durchgemacht haben, aber die wehren sich nicht. Die warten auf den Tag, wo die Männer sich ändern.

Warum verhalten sich diese Frauen so?

Die trauen sich einfach nicht wegen ihrer Eltern und den türkischen Freunden und Bekannten. Die sind doch fast alle der Meinung, daß die Ehre des Mannes verletzt wird und er von der Frau unterdrückt wird, wenn er macht, was sie will. Eine Frau, die gegen den Mann aufmuckt, wird normalerweise bestraft.

Als Sie erfahren haben, daß Sie heiraten sollen, sind Sie fünf Wochen lang zum Jugendnotdienst geflüchtet. Warum haben Sie Idris K. dann doch geheiratet?

DerJugendnotdienst hat ein Gespräch mit meinen Eltern, einem Dolmetscher und mir geführt. Mein Vater hatte mich ja auch furchtbar geschlagen wegen der Hochzeit. Bei dem Gespräch hat mir mein Vater sein Wort gegeben, daß ich nicht muß, wenn ich nicht will. Ich habe ihm geglaubt und bin zurück nach Hause. Dann standen die Sommerferien vor der Tür, und ich mußte mit in die Türkei. Im Haus meiner Oma hat mich mein Vater wieder in die Mangel genommen, einen oder zwei Tage vor der Heirat. In der Türkei hat man keine Chancen mehr, da kann man nicht weglaufen. Da sind die Gesetze ganz anders als hier. Ich bin wirklich froh, daß ich hier in Deutschland bin. Ich kann mir ein Leben in der Türkei nicht vorstellen.

Als Sie Ihr Mann das erste Mal nach der Heirat in Berlin besucht hat, haben Sie erreicht, daß sein Touristenvisum nicht verlängert wurde.

Er war drei Monate da, und ich konnte ihn einfach nicht mehr aushalten. An dem Tag, als sein Visum ablief, bin ich zur Ausländerbehörde gegangen und habe gesagt, ich will nicht, daß er hierbleibt und bei der Geburt unseres Kindes dabei ist. Da haben sie ihn zurückgeschickt. Meinem Vater gegenüber habe ich einfach behauptet, daß die Ausländerbehörde seine Wohnung und sein Einkommen nicht für ausreichend hält.

Wie sah Ihr Leben aus, als Idris K. endgültig nach Berlin kam?

Ich mußte mich vollkommen umstellen. Ich durfte nicht mehr allein raus. Immer wenn ich mit dem Kleinen spazierengegangen bin, war er dabei. Ich durfte nicht nach links oder rechts gucken, mußte immer auf den Boden blicken. Wenn ich doch mal hochgegeguckt habe und ein Mann vorbeilief, fragte er gleich, woher ich ihn kenne und gab mir eins auf den Kopf.

Mußten Sie sich verschleiern?

Ja. Aber das mußte ich auch schon von meinem zehnten bis zum zwölften und vom vierzehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahr. Mein Vater ist ein strenggläubiger Moslem. Ich frage mich wirklich, in welchem Buch es steht, daß man die Frauen so behandeln kann.

Wie verhält sich Ihr Vater heute zur Ihnen?

Die ersten Tage nach meiner Haftentlassung wollte er mich noch mit meinen Mann zusammenbringen. Er wollte, daß wir darüber reden und wegen des Kindes weiter zusammenleben.

Sie wollen beim Familiengericht beantragen, daß die Ehe für nichtig erklärt und Ihnen das Kind zugesprochen wird. Wie wird Idris K. darauf wohl reagieren?

Er hofft, daß ich ein paar Jahre sitze und er den Kleinen bekommt. Außerdem macht er sich Hoffnung, die Ehe mit mir fortzusetzen.

Anwältin: Er bedroht die ganze Familie unter Einsatz von Waffen und ist deshalb schon mehrfach festgenommen worden. Er versucht so zu erzwingen, daß sie zu ihm zurückkehrt. Seit sich die Frauen aus den Beratungsstellen so um sie kümmern, hat sie nicht mehr ganz so große Angst wie früher. Für ihn sind diese Frauen alle Huren.

Wie verhält sich Ihre Familie dazu?

Die haben alle Angst vor ihm. Dann sagen sie wieder, ich soll aus meinem Versteck herauskommen, sie würden mich beschützen. Aber wie lange? Ein paar Stunden, einen Tag? Wenn er ankommt, würde mein Vater sagen: Hier ist sie.

Anwältin: Wenn sie nicht soviel Angst hätten, wären sie im Prozeß als Zeugen aufgetreten und hätten uns das damit alles viel leichter gemacht.

Fadime, was haben Sie jetzt für Pläne?

Ich will ein neues Leben anfangen. Ich möchte die Schule weitermachen und dann Elektrikerin werden. Meinen Sohn will ich natürlich auch wiederhaben.

Wie wollen Sie wohnen?

Auf keinen Fall allein, da hätte ich viel zuviel Angst. Die Angst vor ihm wird mich solange weiterverfolgen, bis er mich in Ruhe läßt.

Muß er zurück in die Türkei, wenn die Ehe für nichtig erklärt wird?

Wenn ich das wüßte, wäre mir viel wohler.

Können Sie sich vorstellen, noch einmal zu heiraten?

Auf keinen Fall. Ich will für mich bleiben. Keinen Mann mehr, nie mehr.

Haben Ihre Eltern in bezug auf Ihre Schwestern aus Ihrem Schicksal gelernt?

Meine eine Schwester ist so gut wie verlobt und sagt, daß sie den Mann liebt. Sie will ihn in den Sommerferien in der Türkei aber noch mal zur Rede stellen, ob er sie ihretwegen heiratet oder um nach Deutschland zu können. Wenn es wegen Deutschland ist, will sie ihn nicht. Meine Mutter ist aus der Sache mit mir bestimmt schlauer geworden. Und mein Vater hat neulich auch gesagt, daß die anderen Mädchen heiraten können, wen sie wollen.

Aber Sie würde er Idris K. trotzdem wieder ausliefern?

Ja, weil das mit der Ehre zusammenhängt. Dazu kommt die Drohung von Idris, daß sich von unserer Familie keiner in die Türkei trauen soll.

Was würden Sie anderen Frauen in einer ähnlichen Situation raten?

Ich will nicht, daß sie mit einer Axt auf ihre Männer losgehen. Sie sollen die Hilfe der Beratungsstellen für in Not geratene Frauen wahrnehmen. Plutonia Plarre