Vierzehn Tage Trauerarbeit

Zum katastrophalen Zustand des internationalen Handballs und der BRD-Auswahl kurz vor der Weltmeisterschaft in Schweden  ■ Ein Pamphlet von Matthias Kittmann

Der Handballnationalmannschaft geht es schlecht.

Die Handballnationalmannschaft spielt schlecht.

Dem Zuschauer wird beim Betrachten schlecht.

Es wird auch weiterhin schlecht bleiben. Greift man sich eines der drei ersten Symptome heraus, so hängt unweigerlich der ganze Krankheitsfall daran, und in jedem Indiz dieser Krankheit finden sich die meisten dieser Symptome wieder. Seit über zehn Jahren hängt der Patient am Tropf. 1982 wurde die BRD-Mannschaft nur WM- Siebter, danach befand sie sich im Fahrstuhl zwischen Herzschmerzen und Herzattacke respektive A- und B-Gruppe. 1989 folgte der endgültige Herzkasper mit dem Abstieg in die C-Gruppe. Nur mit Hilfe der DDR-Qualifikation durfte man bei Olympia 92 mitspielen, um auch dort wieder voll zu enttäuschen – Platz 10. Dabei spielen die Vereine nach wie vor recht manierlich, auch im Europapokal. Doch im Gegensatz zum Fußball ist dies für die Nationalmannschaft völlig ohne Bedeutung. Viele Spieler sind sogar froh, wenn sie da nicht hinmüssen. Absolut tote Hose also, und die Zuschauer bekommen das kalte Grausen, können sie einem Länderspiel mal nicht ausweichen. Ideenloser Krafthandball, dilettantischer Spielaufbau und 6-0-Deckung. Alles Elemente, die diesen Sport zutiefst unattraktiv machen. Immerhin galt deutscher Handball mal als Synonym für Spielwitz, Ideenreichtum, komplette Spielerpersönlichkeiten und – natürlich – Kampfkraft. Vorbei und vergessen. Doch manchmal lohnt es sich durchaus, über seine Vergangenheit nachzudenken. Denn wenn man sich über die Gründe einer gegenwärtigen Misere klar werden will, hilft es schon ein bißchen, wenn man die Ursachen einer verflossenen Prosperität erwägt.

Im Grunde begann alles mit dem Krafthandball der UdSSR- Riesen (ohne ihnen deshalb einen Vorwurf machen zu wollen). Andere Nationen glaubten, dieses Konzept kopieren zu müssen. Schließlich waren damit kurzfristige Erfolge erzielbar. Doch der Bum-Bum-Handball war und ist Gift für den Sport. Nur noch Spezialisten waren gefragt. Nach jedem Angriff wurden erst mal gemächlich drei bis vier Abwehrspieler eingewechselt. Der Handball kam im wahrsten Sinne des Wortes „zum Stehen“. Zwölf Spieler verharrten statisch am Kreis und warteten darauf, daß ein Zweimeter- Kraftmeier den Ball aufs Tor donnerte. Kreisspieler wurde eine Spezies, die vom Aussterben bedroht war. Lang ist's her, daß z.B. ein Momo Rinic (Jugoslawien) nach glänzendem Anspiel seine fünf oder sechs Tore pro Spiel vom Kreis machte. Zwar gibt es in den Vereinen noch hin und wieder solche Könner, doch die werden von Spielmachern eingesetzt, die nicht für das Nationalteam abkömmlich sind – Nichtdeutsche nordeuropäischer Provenienz. Magnus Wislander etwa vom THW Kiel oder der „Handballer des Jahres“ Mikael Kaellman vom Meister Wallau/Massenheim. Die übrigen Mannschaften spielen das Essener „2+4-Modell“: Ein Duo wie Fraatz/Tuschkin spielt sich den Ball zu, während die anderen nur in der Abwehr mal die Hände heben dürfen. Kein Wunder, daß da einem vagen Nachwuchstalent auf dieser Position wie Volker Mudrow (TBV Lemgo) schon nach drei (!) Bundesligaspielen dieser Job im Nationalteam aufgehalst wird – mit einem kaum ausgeheilten Bänderriß.

Wohl wahr – jeder Trainer muß mit den Spielern auskommen, die da sind. Schließlich funktioniert der Aufbau einer großen Mannschaft nicht wie Bretzelbacken. Vielleicht entscheidender aber ist, daß im deutschen Handball die Visionen fehlen. Die Trainer der vergangenen Dekade haben nur Mängel verwaltet. Schon im Jahr eins nach Vlado Stenzel machte der Handballbund den ersten Fehler, als man statt Klaus Zöll Simon Schobel zum Bundestrainer machte, nur weil er für den Verband pflegeleichter war. Ob dann später Ivanescu oder Bredemeier – keiner schaffte es, bei Klassespielern wie Schwalb, Schoene, Neitzel, Fraatz, Quarti, Harting, Happe und Roth die Kreativität und Begeisterung herauszufordern. Man muß nicht „Magier“ Vlado Stenzel ins Amt zurückfordern, um festzustellen, daß seine Visionen dem heutigen Handball fehlen. Vor der legendären WM 1978 hat er mit einem scheinbar trivialen Satz seine Philosophie umrissen: „Ich kann nicht machen aus kleinem Spieler großen Spieler. Aber ich kann machen, daß großer Spieler sich bewegt.“

Damals wurde die Bundesrepublik Weltmeister. Das ist 15 Jahre her, doch die Weisheit ist immer noch taufrisch. Aber wer setzt sie um? Leisten wir in den nächsten vierzehn Tagen Trauerarbeit und freuen uns dafür auf das 1. Halbfinale im Europapokal der Landesmeister SG Wallau/Massenheim gegen FC Barcelona.