Mobil für ein frühes Ableben

Auf dem 4. Deutschen Wirtschaftskongreß diskutierten Manager und Studenten über die „Ressource Mensch“/ Optimismus und Tatendrang  ■ Von Bernd Ulrich

Köln (taz) – Die Rezession geht vom Trab in den Galopp über; die Stahlkocher sind auf der Straße; die Arbeitslosenzahlen drohen über 5 Millionen zu steigen; die Politik ist handlungsunfähig; ganz Deutschland liegt in der Depression. Ganz Deutschland? In den Gebäuden der Universität Köln versammelten sich letzte Woche über tausend Spitzenmanager und Studenten aus aller Welt, um über die „Ressource Mensch“ in der Weltwirtschaft zu diskutieren. Vielleicht ist es dem ehrenamtlichen, jugendlichen Engagement der rund 200 BWL-, VWL- und Jurastudenten zu verdanken: Der 4. Deutsche Wirtschaftskongreß verfügte reichlich über eine derzeit rare Ressource: Optimismus.

Tatendrang, Entschlossenheit und vor allem Ehrgeiz versprühten die durchschnittlich 23jährigen Talente. Fleißig und diskret bewegten sie sich in ihren knisternden Kostümen und korrekten Anzügen, die aussahen, als wären sie alle vom selben Schneider. Dabei war die Kleidung wohl das einzige, was nicht von irgendeinem namhaften Sponsor finanziert wurde. Von den überall herumliegenden Dunhill- Zigaretten, über das Kölsch von Küppers bis zu den vierzig schwergewichtigen Limousinen von Mercedes war alles gespendet. Nicht minder gewichtig waren die Manager, die von der Studenteninitiative OFW (Organisationsforum Wirtschaftskongreß) nach Köln gelockt wurden. Die freuten sich nicht nur, „mal wieder in einem Hörsaal zu sitzen“, wie Folker Streib von der Commerzbank-Filiale in Tokyo formulierte. Sie nutzten das Forum, um Studenten und Öffentlichkeit auf ihr zukünftiges Programm einzustimmen. Mobilität, Globalität, Flexibilität und nichthierarchische Kommunikation – diese immerzu wiederholten Begriffe sollen den Weg aus der Krise weisen.

„Wer die Mobilität nicht liebt, ist fehl am Platze.“ Das Verdikt von Carl Hahn, Aufsichtsratsmitglied von VW, duldete keinen Widerspruch. Der Vorsitzende des Club of Rome, Ricardo Diez-Hohleitner, fragte denn auch nicht, was der Mobilitätsschub ökologisch bedeutet, sondern beschränkte sich auf die Rolle von everybody's darling. Ohnehin war zu spüren, daß die Wirtschaft praktisch keine ideologischen Gegner mehr hat. Nach dem Untergang fast aller Sozialismen und dem Niedergang der Politik wissen die Manager ziemlich gut, daß sie auch für ihre früheren Gegner zu Hoffnungsträgern schlechthin werden. Die vereinzelten gewerkschaftlichen Stimmen wurden kaum mehr als Herausforderung aufgenommen.

Kein Wunder, wenn man etwa die Ergebnisse der Arbeitszeitexperimente von Hewlett and Packard Deutschland sieht. Die Computerfirma hat die Arbeitszeit im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten fast völlig freigegeben. Jeder Mitarbeiter hat ein Zeitkonto, das er für verkürzte Tage, verlängerte Wochenenden und gleitenden Ruhestand nutzen kann – wenn er Stunden angespart hat. Packard-Personalchef Heinz Fischer berichtete stolz, daß von 4.000 Mitarbeitern nur drei die konventionelle tarifvertragliche Regelung bevorzugen würden – und die drei säßen im Betriebsrat.

Wenn die Wirtschaft der letzte Hoffnungsträger und die Manager die letzten Missionare sein sollten, bedarf ihre Vision wohl eines kritischen Blicks. Den hatten die geladenen Studenten allerdings nicht. Es mag daran gelegen haben, welche der eingesandten Studentenessays der Gerling-Konzern als Eintrittskarte akzeptierte – oder an den kostenlosen Lufthansatickets – oder an der Autorität der graumelierten Manager. Jedenfalls waren die zwei Tage eher ein Wiener Opernball als eine Studentenrevolte. Und das obwohl zwischen all den tatstrotzenden Statements doch Abgründe sichtbar wurden.

Die von allen Rednern geforderten „flachen Hierarchien“ scheinen sich in deutschen Großunternehmen nur schwer gegen preußisches Obrigkeitsdenken durchzusetzen. Es gebricht schon an der Sprache, wie in der Rede von Carl Hahn abzulesen war: „Klare, zentral abgestimmte Strategien sind genauso notwendige Erfolgsvoraussetzungen wie die Überwachung der Durchführung der Geschäftspläne.“ So wie hier die Substantive im Stechschritt daherkommen, tun sich gerade die älteren Manager mit den von ihnen selbst formulierten Ansprüchen.

Dennoch ist auch die Hoffnung auf das junge Führungsmanagement nicht ungetrübt. Sie sollen die perfekt dreisprachigen, „globalen Manager“ werden, zu denen es die deutschen Vorstandsvorsitzenden als Kriegsgeneration letztlich nie gebracht haben. Ihre englische Aussprache ist sympathisch schlecht, der heimische Dialekt bleibt unüberhörbar. Die Jungen sollen schnell lernen und vor allem schnell „entlernen“, sie müssen jederzeit global mobil sein und dabei stets multioptional agieren. Unglücklicherweise werden aus bindungsschwachen, hypermobilen, multioptionalen Studenten allein durch den Zahn der Zeit keine Charakterköpfe. Folglich herrschen im mittleren Management zwar Kompetenz und Kommunikation, aber ein „eklatanter Mangel an leadership“, wie es der Generalmoderator der Tagung, Professor Simon, formulierte.

Manchmal schaute es doch ganz fremd aus zwischen den Studenten und den Managern. Der Tod garnierte das Abendessen, als Professor Evans in seiner Dinner-Speech die durchschnittliche Lebenserwartung von pensionierten Vorstandsvorsitzenden mitteilte. Sie beträgt zehn Monate. Vielleicht ist der Job doch weniger von Unternehmergeist beseelt als der Sucht unterworfen.

Auch die Entdeckung der Ressource Frau ist nicht frei von Merkwürdigkeiten. Während den jetzigen Spitzenmanagern die heimische Kultur noch von waschechten Müttern beigebracht wurde und umsichtige Ehefrauen ihr spärliches Privatleben abwickeln, soll der künftige Globalmanager auch noch selber weiblich sein. Wie die Integration der Frauen in den Beruf bei explodierendem Mobilitätsdruck auf die Familien funktionieren soll, diese Frage gehört zu den Mysterien des Kongresses. Die Frau mobil in Singapur, der Mann flexibel in New York und die Kinder wohlerzogen in der Schweiz? Man muß schon so jung sein wie das 24jährige „Superhirn“ der Organisatoren, Stephan Schwahlen, um das „kein Problem“ zu finden. Doch auch Mark Wössner, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG, möchte die Folgen der Mobilität lieber individuell geregelt wissen. Und Carl Hahn, der die Geschwindigkeit so „liebt“, versicherte in seinem Vortrag gleich dreimal, daß das globale Dorf kein Grund sei, die eigene kulturelle Identität zu verlieren – ohne daß er seinen Glauben nur ein einziges Mal begründete.

Kulturelle und ökologische Kosten des gegenwärtigen Mobilitätsschubs wurden in Köln ignoriert. Die „Ressource Mensch“ soll ausgeschöpft werden und wird erschöpft. Die Erkenntnis von Hertie-Chef Wollert, „ohne Wirtschaftlichkeit schaffen wir es nicht, ohne Menschlichkeit ertragen wir es nicht“, verkam zum reinen Appell – an den anonymen Dritten.