: Warum die Kammerwahl sein muß
■ DGB und DAG streiten sich um die Macht / Mehr Angestellte, mehr Kammer-Geld
„Friedenswahl“ wird es genannt, von interessierter Seite sogar ohne Anführungsstriche, und meint: Keine Wahl. Gewählt werden soll am 24. November zu den bremischen Arbeitnehmerkammern. Wahlen kosten Geld, das ließe sich sparen, wenn die kandidierenden Gruppen sich bis zum 15. März auf das Ergebnis der Wahl — die Sitzverteilung — vorab einigen.
In früheren Jahrzehnten wurde mehrfach auf die Wahl verzichtet. Die kleine Angestelltenkammer war fest in der Hand der Angestelltengewerkschaft DAG. Die reiche Arbeiterkammer war fest in den Hand der DGB-Gewerkschaften. Die sozialdemokratische Mehrheit in der bremischen Bürgerschaft hat das Wahlverfahren im Kammergesetz so gestaltet, daß einfache „Listen“ zu den Wahlen nicht zugelassen sind — nur Gewerkschaften dürfen kandidieren. Im Arbeiterbereich ist die Sache klar, die Einheitsgewerkschaft ohne wirkliche Konkurrenz und somit kann der DGB über die Arbeiterkammer verfügen als wäre es eine Fortsetzung der Gewerkschaft mit den Beiträgen auch der unorganisierten Arbeiter und mit staatlichen Subventionen. Wie lukrativ diese Kammer ist, mag man daran ermessen, daß der Wechsel vom DGB-Vorsitzenden zum Arbeiterkammer-Chef in jeder Hinsicht einen Karriereschritt bedeutet.
Die Zahle der Angestellten nimmt zu, die alten Mehrheiten ändern sich
Der Bereich der Angestellten ist in Bewegung, ihre Zahl nimmt zu, mit ihnen der Etat, um den es bei der Angestelltenkammer geht, und so machte der DBG der früher unbeschränkt verfügenden DAG Konkurrenz und gewann sogar 1987 überraschend die Angestelltenkammer-Wahlen. Nun soll 1993 wieder gewählt werden, die DAG will ihren Laden zurückerobern, also gibt es demokratischen Streit, Wahlkampf, Kontrollbegehren durch Opposition und ähnliche im Gewerkschaftsleben negativ angesehene Dinge.
Der Versuch, durch Verhandlungen für den Angestelltenkammer- Bereich den Millionen-Kuchen aufzuteilen und sich auf eine ausgemauschelte Kandidatenverteilung (“Friedenswahl“) zu verständigen, ist im Februar gescheitert: Die DAG wollte ein Stück von der Macht, der DGB will die absolute Mehrheit in allen Kammer-Gremien behalten.
Die DGB-Gewerkschaften machen seitdem Stimmung gegen die Wahl mit dem Argument, der Spaß würde insgesamt ca. 4 Millionen kosten und das Geld könne sonst im Sektor Umschulung/Weiterbildung für sinnvolle Maßnahmen verwendet werden. Zwei Drittel der Kosten für die Kammerwahlen, so kontert die DAG, entstehen nur, weil der DGB 1987 durchgesetzt hat, daß in allen Betrieben über 21 Beschäftigten keine Briefwahl mehr stattfindet, sondern eine Urnenwahl durchgeführt wird. Da die DGB-Gewerkschaften in Großbetrieben besser organisiert sind als die DAG, führt das neue Verfahren zu einer deutlicheren Mehrheit für den DGB. Ein kleiner Nebeneffekt ist, daß ca. 5000 gewerkschaftliche Aktive sich als Wahlhelfer ein kleines Zubrot während der Arbeitszeit verdienen können.
Wenn man die Urnenwahl abschaffen würde, könnte man den Pflichtmitgliedern der Kammern ihr demokratisches Wahlrecht sichern und dennoch über die Hälfte der Wahlkosten einsparen, kontert wiederum nun die DAG. Den „Pflichtmitgliedern ist ihre demokratische Mitbestimmung bei der Besetzung der Kammern auf jeden Fall zu erhalten“, argumentiert die DAG. Diese grundsätzliche Haltung geht allerdings nicht so weit, daß Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern etwas anderes als die Wahl einer Gewerkschaftsliste ermöglicht werden soll.
Ganz nebenbei würde die DAG-Idee der Briefwahl den Vorteil, den sich der DGB mit dem anderen Verfahren verschafft hat, wieder rückgängig gemacht.
Schon deshalb dürfte der DAG-Vorschlag bei den DGB- Gewerkschaften keine Chance haben. Es kommt hinzu, daß 5.000 potentielle Wahlhelfer stocksauer auf den DGB wären... K.W.
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