„Die Zeit der absoluten Mehrheiten ist vorbei“

■ Bremen ist der Seismograph für die Sozialdemokraten / Klaus Wedemeier zum hessischen Erdrutsch der SPD

Trotz der Schwäche der Bundesregierung ist die SPD bei der einzigen Wahl in diesem Jahr untergegangen. Mehr als sieben Prozent hat sie bei der Hessischen Kommunalwahl verloren, in den großen Städten sogar noch mehr. Klaus Wedemeier ist Bundesvorsitzender der SPD- Gemeinschaft für Kommunalpolitik.

taz: War die Bürgerschaftswahl der Anfang eines Bundestrends für die SPD?

Klaus Wedemeier: Die Bremer Wahl war wie ein Seismograph. Ich erinnere mich, daß damals sowohl unser Bundesvorsitzender als auch unser Bundesgeschäftsführer davon gesprochen haben, das sei ein rein lokales Ereignis ohne jede bundespolitische Bedeutung und in der Hauptsache hausgemacht. Schon bei den Wahlen in Baden Wüttemberg und Schleswig- Holstein selbst konnte man merken, daß das so nicht gestimmt hat. Spätestens nach dieser Hessenwahl wissen wir, daß wir's nicht mit hausgemachten Niederlagen zu tun haben, sondern daß es einen Bundestrend gegen die SPD gibt trotz der Schwäche der Bundesregierung.

Bezieht sich das vor allem auf die Bundespolitik, oder andersrum: Was macht die SPD falsch, daß es in den großen Städten so bröckelt?

Natürlich spielt Bundespolitik auch eine Rolle, aber Kommunalwahlen haben auch ihren eigenen Charakter. Ich glaube, daß die Sozialdemokraten insgesamt stärker zum Ausdruck bringen müssen, daß sie diejenigen sind, die die Sorgen und Nöte vor Ort aufnehmen und ernstnehmen. Es gibt ja in den großen Städten und dort in den großen Wohngebieten mit sozialem Wohnungsbau das Problem der Wohnungsnot. Es gibt in der gleichen Bevölkerungsschicht die Arbeitsplatzangst, und das Problem der Integration von Zuwanderern. Das sind für mich drei Probleme, in denen wir es offenbar nicht geschafft haben, 'rüberzubringen, welche Instrumente wir anwenden würden, um dort eine Lösung herbeizuführen. Der Bund streicht die Wohnungsbaumittel, und die SPD bezahlt vor Ort die Zeche dafür.

Nun ist zum wiederholten Mal eine rechtsextreme Partei in die Parlamente eingezogen. Glauben Sie noch an die Protestwählerthese, oder steckt mehr an Gesinnung dahinter?

Ich glaube nach wie vor, daß es Wählerinnen und Wähler sind, weil sie aus dem Spektrum der SPD-Wählerschaft kommen, die natürlich rechtsradikal oder gar neofaschistisch sind. Es ist zum großen Teil die Unzufriedenheit mit den großen Volksparteien. Zum Teil ist das natürlich auch Gedankengut. Man darf das auch nicht unterschätzen. Die Parolen der Rechtsradikalen verfangen offenbar und setzen sich in den Köpfen fest. Die Parteien haben dem wenig an Lösungsansätzen entgegenzusetzen. Die Menschen wollen Lösungen offeriert bekommen. Dann wird das Problem ein Vorübergehendes sein. Wenn das so weiter geht, dann werden sich allerdings die rechtsradikalen Parteien über mehrere Jahre festsetzen.

Einige Kommentatoren sagen, das sei das Ende der Volksparteien und die SPD und die CDU würden sich jetzt bei dreißig Prozent einpendeln.

Ich habe nach der Bürgerschaftswahl gesagt, daß nach meiner Auffassung die Zeiten der absoluten Mehrheiten vorbei sind. Auch damals hat man das mit ungläubigem Staunen aufgenommen. Dennoch glaube ich nicht, daß sich die großen Parteien auf dreißig Prozent plusminus einzurichten haben. Ich traue den großen Parteien schon vierzig plus zu. Das hängt aber von der Lösungskompetenz bei Sachfragen ab. Sie befinden sich im Augenblick auf einer Strecke der Ratlosigkeit und die muß schnell überwunden werden.

Fragen: J.G.