Nachschlag

■ Zadeks „Kaufmann von Venedig“ am Berliner Ensemble

Als Einstiegsdroge hat Peter Zadek, einer der fünf Intendanten des Berliner Ensembles, noch vor seiner ersten Regiearbeit am BE seine Wiener Inszenierung von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ an sein neues Theater importiert – ein dreitägiges Gastspiel und ein Fest der Schauspielkunst an diesem von glänzenden Schauspielern nicht gerade überbevölkerten Theater. Die Szene (Bühne: Wilfried Minks und Johannes Grützke) ist weniger Venedig als Wall Street, die Herren in schicken Seidenanzügen dirigieren hektisch und cool ihre Transaktionen mit dem Funktelefon und erfahren aus dem Wall Street Journal, wie die Aktien stehen. Shylock (Gert Voss) ist einer von ihnen, etwas cooler, etwas smarter als die anderen, einer, der eher für seinen Erfolg gehaßt wird als dafür, daß er eine „Judensau“ ist. Gert Voss spielt nicht den wütenden Haß des von Antisemiten Gedemütigten, dafür ist dieser Shylock viel zu elegant und souverän. Nicht aus Rachgier, eher aus Stolz und Lust am Spiel besteht er charmant lächelnd darauf, daß sein Schuldner Antonio (Ignaz Kirchner) seinen Schuldschein einlöst und für den verfallenen Kredit mit einem Pfund seines Fleisches bezahlt. Keine amoklaufende Bestie, eher ein Tänzer, der um sich selbst tanzt, geschmeidig, in sich selbst verliebt und sehr kultiviert.

Zadek verkitscht Shylock nicht philosemitisch zum Klischee des edlen Opfers, aber er interessiert sich (anders als in seiner Bochumer Inszenierung des Stückes 1973) auch nicht dafür, daß auch Juden auf Unmenschlichkeit mit blankem Haß reagieren können: Über Antisemitismus und jüdische Identität ist in dieser entspannt unterhaltsamen Inszenierung nichts zu erfahren. Shylocks Gegenspieler Antonio ist ein etwas verkniffener Melancholiker, der am Ende des Abends einsam, ratlos an seiner Zigarre saugend, zwischen lauter sich gierig umarmenden Liebespaaren steht: der Bürge als armer Tropf. So entspannt Zadek Shylocks Geschichte erzählt, so freundlich-naiv setzt er die parallel laufenden Liebesgeschichten in Szene: nichts einfacher als eine große Liebe, selbst wenn Shylocks Tochter Jessica (Andrea Clausen) sich in einen eitlen Schnösel verliebt hat (Tobias Langhoff). Auch Portia (Eva Matthes) verfällt ihrem Liebsten mit dem ersten Blick, dem Rausch folgen keine tausend „Aber...“, was man angesichts des schmierigen Herren (Paulus Manker) sowenig verstehen kann wie die erste Zuneigung der Dame.

Hemmungslos kann man sich an diesem Märchenglück laben, auch die schlechten Kalauer, die Schäkereien mit dem Publikum, die Clownsnummern von Urs Hefti und Uwe Bohm, all die Anklänge an Shakespeares Volkstheater, die so leicht peinlich werden könnten, sind voller Charme und Verführungskraft. Die Inszenierung, seit vier Jahren auf dem Spielplan des Burgtheaters, wirkt in jedem Augenblick der Aufführung so frisch und spontan, als würde das Spiel erst heute abend erfunden. Peter Laudenbach