Fernsehen, wenn die Kasse klingelt

■ Verstoß gegen Landesfunkrecht? Einkaufsradio und -TV in niedersächsischen Supermärkten

Während die rot-grüne Koalition Niedersachsens noch über das neue Landesrundfunkgesetz streitet, sind bereits Kommunikationskaufleute dabei, rundfunkpolitische Tatsachen zu schaffen, noch bevor der Landtag das Gesetz verabschiedet hat: „Point of Sale“- Radio heißt das Zauberwort, das das Landesmedienrecht aushebeln kann. Über Satellit werden Supermärkten und Kaufhäusern Musikprogramme mit eingeblendeten Werbespots zugespielt. Dort erreichen sie die Ohren der angeblich „geschlossenen Benutzergruppe“ der Einkaufenden, just im Augenblick der Kaufentscheidung – der Traum aller Werbetreibenden wird Wirklichkeit.

Die „Zwangszuhörer“ zappeln in der Message-Falle. Obwohl die Veranstalter behaupten, daß es sich medienrechtlich nicht um Rundfunk handelt, meldet sich aus den Lautsprechern „ihr Rewe-Einkaufsradio“. Für Otto und Erna Normalverbraucher liegt damit klar auf der Hand: schon wieder so ein neues Privatradio. Medienrechtler hingegen streiten noch, ob es sich hier um Rundfunk im Sinne der Landesrundfunkgesetze handelt oder um Geschäftskommunikation. In Kiel ist die POS-Lizensierung noch nicht entschieden, im Saarland gibt es juristischen Streit um Supermarkt-Fernsehen.

Auch wenn „Einkaufsradio“ per Antenne nicht empfangbar ist und nicht die breite Öffentlichkeit erreicht: Kaufhäuser sind „öffentliche Räume“. Juristisch steckt dahinter Brisantes. Setzte sich die Definition des „Einkaufsradios“ als Geschäftskommunikation durch, wäre für diese Privatfunkspielart der Kotau vor Landesrundfunkhoheit vorbei. Ein Privatfunk ohne lästige Auflagen und Auswahlverfahren eröffnete eine neue Phase von Bewußtseinsindustrie.

Die Mediengesetzgeber stehen unter Druck. Sie müssen einen Grauzonenfunk im nachhinein legalisieren helfen. Seit zwei Jahren wissen die Rundfunkreferenten um den Zustand. Seit vier Jahren sind sich Post-Telekom und ihr erster Geschäftspartner, die „protone promotion“ aus Kiel bereits handelseinig. Bekannter ist diese ehemalige Werbeagentur heute unter dem Namen „Radio Point of Sale“ (POS). Die Post ist auch selbst mit von der Partie. „Eucom“ heißt ein gemeinsames Tochterunternehmen von deutscher und französischer Telekom, das ein „Monitor-Journal“ im Saarland betreibt. Selbstverständlich gilt auch das nicht als Rundfunk, sondern als „business-tv“. Rewe wiederum läßt sein „Einkaufsradio“ von der „Koko“ in Marburg produzieren. Hinter der „Koschwitz- Kommunikation“ steckt unter anderen ein HR3-Moderator.

Daß ein solch medienpolitisches Laisser-faire noch nicht zum Skandal geworden ist, liegt daran, daß „vitale Interessen“ im Spiel sind. Die Landesgesetzgeber bangen darum, daß ihr Rest-Föderalismus nicht via High-Tech zu Schanden gesendet wird. Außerdem wird, wie in Schleswig-Holstein, noch ein bißchen Ansiedlungspolitik betrieben, wer dort den Lizenzzuschlag bekommen wird, ist ein offenes Geheimnis: die Kieler POS. Die Telekom bangt um ein Zukunftsgeschäft. Die Privatfunklobby fürchtet um die Abwanderung von Werbebudgets.

Staatskanzlei und Landesrundfunkausschuß in Niedersachsen sind nicht nur schlecht auf dieses Thema zu sprechen, sondern auch nicht ganz im Bilde. Im Sommer 92 habe es da bei „Real-Kauf“ eine Testphase gegeben, von einem „Einkaufsradio“ und einem ebensolchen bei „Rewe“ wisse man noch nichts. Tatsache ist: Sowohl in Teilen der Rewe-Ladenkette als auch in Real-Kauf-Märkten wird „Einkaufsradio“ veranstaltet, bei Real-Kauf sogar Einkaufs-TV in der Kassenzone.

Nun soll ein „vereinfachtes Zulassungsverfahren“ den „Bagatellrundfunk“ im neuen Landesrundfunkgesetz Niedersachsens (LRG- Entwurf Paragraph 33) regeln. Das bisherige LRG regelt zwar die „Zulässigkeit der Verbreitung“ von Hörfunk- und TV-Programmen, die außerhalb Niedersachsens in rechtlich zulässiger Weise veranstaltet werden, wenn der Erlaubnisbehörde einen Monat vor Beginn die Sendung angezeigt wird. Bisher war jedoch nirgends eine solche Erlaubnis erteilt worden. Deshalb stellt sich hier die Frage nach der Legalität des laufenden „Bagatellfunks“. Hektische Aktivitäten, wie sie Niedersachsens Rundfunkpolitik bei der Verfolgung „politischer“ Piratensender kennt, sind in dieser Angelegenheit bislang nicht zu registrieren. Heide Brink