Fremde Heimat

■ Jugendsenator Krüger kämpft gegen die Arroganz der Westgenossen

Berlin. Auf dem Landesparteitag der SPD am kommenden Samstag sollte eine Stärkung der Ostberliner Parteigliederungen verabschiedet werden: Die Delegiertenzahl soll sich künftig nicht nur an der Zahl der Mitglieder, sondern zu 50 Prozent auch an der Zahl ihrer Wähler orientieren. Doch der Vorschlag ist erst mal vom Tisch – zur Empörung von Jugendsenator Thomas Krüger.

taz: Warum sollen Ost-SPDler mehr wiegen als Westgenossen?

Krüger: Das Zähneknirschen bei den Ostberliner Sozialdemokraten muß ein Ende haben. Es kann nicht sein, daß die Ostberliner Parteistrukturen hinsichtlich der Kontinuität mit den Westberliner verglichen werden. Wir hatten seit 1961 eine andere Situation, nun müssen wir eine neue Mitgliederstruktur aufbauen. Allerdings ist auch im Westen die Mitgliederpartei nicht mehr das, was sie mal war. Deshalb schlagen wir vor, den Delegiertenschlüssel neu zu bestimmen, die Mitgliederbefragung einzuführen und eine Direktwahl der Mandatsträger vorzunehmen. Wir müssen dem Vertrauensvorsprung, den die SPD im Osten der Stadt hat, politisch gerecht werden, indem die Ostberliner Sozialdemokraten in den Parteigremien mehr Gewicht bekommen.

Wie lange soll die Sonderregelung gelten?

Zumindest so lange, bis die Strukturen vergleichbar sind. Das wird wahrscheinlich um die Jahrtausendwende der Fall sein.

Das Thema wird auf dem Parteitag an die Statutenkommission verwiesen und geht somit seinen sozialdemokratischen Gang.

Das darf nicht passieren. Wir wollen eine Debatte, und zwar auf diesem Parteitag. Wir werden in einem Änderungsantrag den Landesvorstand und Landesausschuß beauftragen, eine Konzeption für diese drei von mir benannten Satzungsänderungen vorzulegen. Dieser Vorschlag muß rechtzeitig vor dem nächsten Landesparteitag vorliegen. Uns beschleicht das unwohle Gefühl, von antiquierten Parteistrukturen des Westens dominiert zu werden. Die SPD droht für uns zur fremden Heimat zu werden, das müssen wir verhindern. Das uns nachgesagte Harmoniebedürfnis darf nicht verhindern, daß die vorhandenen Konflikte ausgetragen werden.

Ist das ein klassischer Ost- West-Konflikt, oder verläuft die Auseinandersetzung zwischen Rechts und Links?

Es ist zunächst eine Ost-West- Auseinandersetzung, doch ist es vor allem ein Konflikt der Linken mit ihrem Selbstverständnis. Die Linke ist in der Gefahr, die Politik Helmut Kohls von 1990 fortzusetzen. Sie versteht sich als Besitzstandswahrer der alten Republik und verhält sich in ihren Politikansätzen genauso strukturkonservativ wie die Christdemokraten. Beider Republik ist aber eine der Westdeutschen. Sie berücksichtigt die Ostdeutschen nicht. Wir aber wollen gleichberechtigt vorkommen. Das heißt für die Sozialdemokratie, daß der Begriff der Reform neu definiert werden muß. Nicht jeder, der eine neue Position will, ist automatisch rechts.

Die SPD-Linke, ein Traditionalistenverein?

Tradition und Hegemoniebestrebungen spielen bei ihr auf jeden Fall eine zu wesentliche Rolle. Die soziale Utopie verkommt bei ihr zur Melancholie. Interview: Dieter Rulff