„Operation Jesus Christ“ Von Andrea Böhm

Wer im US-Fernsehen zur Zeit nach den Bodentruppen der US- Armee sucht, der findet sie nicht in Sarajevo und nur noch selten in Mogadischu, wo es zwar immer noch US-Soldaten gibt, aber immer weniger TV-Teams, die ihre Präsenz beweisen könnten. Neuer Drehort einer bevorstehenden militärischen Intervention ist Waco, Texas. Dort hat sich Vernon Howell alias David Koresh alias Jesus Christus samt seiner Sekte der „Davidianer“ und einem beachtlichen Waffenarsenal verschanzt. Davon hätte die Welt nicht weiter Notiz genommen, wäre das „Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms“ (ATF) vorletzten Sonntag nicht auf die Idee verfallen, die Festung wegen des Verdachts zu durchsuchen, daß dort vollautomatische Gewehre zusammengebaut werden.

Nun ist in den USA, was die Verbreitung von Waffen angeht, wenig verboten, doch der Besitz eines vollautomatischen Gewehres im Zivilleben ist tatsächlich illegal. Im Einklang mit dem Gesetz befindet sich hingegen, wer sich eine halbautomatische Schußwaffe samt Werkzeugkästchen zum Umbau in eine vollautomatische kauft. Davon hat der selbsternannte Messias offenbar so viele gestapelt, daß es sogar dem ATF aufgefallen ist, das für die Registrierung von Schußwaffen und die Zulassung von Waffenhändlern zuständig ist – keineswegs aber für deren Limitierung. Denn wie der Name der Behörde ahnen läßt, gelten Waffen in den USA wie Tabak und Alkohol als Genußmittel, wenn auch mit gesellschaftlich unterschiedlicher Akzeptanz: Dank der wachsenden Aufklärung über Lungen- und Kehlkopfkrebs macht man sich dieser Tage mit einer Zigarette im Mund unbeliebter als mit einer Knarre in der Hand.

Es ist bitterböse Ironie des Schicksals, daß nun in Waco das ATF die Folgen dieses fehlgeleiteten Gesundheitsbewußtseins selbst ausbaden muß: Vier Beamte sind bei dem ersten Versuch, die Festung der „Davidianer“ zu stürmen, erschossen worden. Wie viele Sektenmitglieder bislang ums Leben gekommen sind, ist noch unklar. David Koresh gibt derweil munter Telefoninterviews, verliest über Radio seine verquaste Bibelinterpretation und freut sich auf den bevorstehenden Krieg, während um ihn herum „Operation Jesus Christ“ vorbereitet wird: FBI, ATF und „National Guard“ sind mit Scharfschützen, Helikoptern und Panzern aufgezogen – wohl wissend, daß deren Einsatz ein Massaker zur Folge haben würde. Die Presse rätselt indessen, wie die Bibel einen solch verheerenden Einfluß auf Menschen haben kann, wo man doch militanten Fundamentalismus nur im Islam kennt. Von theologischen Überlegungen voll in Anspruch genommen, bleibt den Journalisten keine Zeit für pragmatisch dumme Fragen. Zum Beispiel, warum man sich wie David Koresh per Post ein Paket Handgranaten bestellen kann.

Nun wäre es unfair zu behaupten, in den USA lerne niemand aus solchen Vorfällen. In Virginia und Illinois soll jeder Bürger in Zukunft nur noch eine Waffe pro Monat kaufen dürfen. In Waco, Texas, kämen solche Neuerungen ohnehin zu spät. Da wartet David Koresh auf Instruktionen von Gott – und alle anderen auf den großen Knall.