Rote Tomaten

Oder wie man sich dem Sozialistischen Realismus nähert, ohne strammen Mädchen wehzutun. Roll over Jeff Koons. Heroisches aus der Villa Stuck, München, plansollerfüllend kolportiert  ■ Von Brigitte Werneburg

Das derzeitige Kultobjekt der jungen russischen Intelligenzia und Künstler ist „Das Buch der gesunden und schmackhaften Küche“. Herausgegeben von der Regierung und mit einer Einleitung des Genossen Stalin versehen, taugt es zum Kultbuch nicht nur, weil das, was zu sehen ist, mangels Zutaten nie gekocht werden konnte, sondern ebenso wegen seiner typischen süßlichen Pastellfarbdrucke aus den 50er Jahren. Die Neigung zum stalinistischen Kochbuch ist Teil des kessen Po-Mo-Spiels um Kultur und Kunst als Massenkonsumartikel: leicht verständliche Kunst, bei der sich der Inhalt unmittelbar aus der Form ergibt, und das macht den sozialistischen Realismus tauglich für den Spaß am – und mit dem – Kitsch.

Der Spaß allerdings, der tatsächlichen „Sowjetischen Malerei des Sozialistischen Realismus 1930–1970“ zu begegnen, die unter dem Titel „Ingenieure der Seele“ derzeit in der Villa Stuck in München zu sehen ist, hält sich dann in Grenzen. Auch wenn sich die Kuratoren der Ausstellung, die vom Museum of Modern Art in Oxford übernommen wurde, bemüht haben, die gezeigte Auswahl nicht im Klischee der unendlichen Bildabfolge aufgehen zu lassen: „Ein Soldat der Revolution“, „Lenin in Smolny“, „Hauptquartier der Revolution“, „Tag des Sieges“, „Stalin auf dem XVIII. Parteitag“, „Die Triumphe des Bergbaus“, etc. Die Sujets sind durchaus vorhanden. Der „Trick“ der Kuratoren allerdings, dem Klischee vorzubauen, ist von höchst aktueller Intelligenz: Mit der Frage „Wie steht es um das Imperium?“ richten sie ihr Interesse auf die „Malerei der nichtrussischen Sowjetrepubliken“.

Nicht daß Multikulturalität das oberste Anliegen der sowjetischen Kunstpolitik gewesen wäre. Aber im zunächst wenig stabilen Imperium wurde aus Gründen der politischen Opportunität die kulturelle Autonomie der nichtrussischen Republiken betont. Stalin selbst warnte vor einem großrussischen Chauvinismus. Die ausgegebene Parole „sozialistisch im Inhalt, national in der Form“ wurde von den Künstlern gegen den Druck der kulturellen Hegemonie ausgespielt: Kräftige Farbigkeit und reduzierte Formen durften als nationalen Traditionen entwachsen gelten. Ein Beispiel gibt die in Usbekistan arbeitende Russin Sinaida Kowalewskaja. Sie erkundete, deutlich impressionistisch gestimmt, das Ereignis von Licht und Farbe im ausreichend anekdotischen Rahmen der Tomatenernte (1949). Der Rahmen tat der Würdigung bäuerlicher Arbeit und damit naradnost und klassovost, Volkstümlichkeit und Klassenbewußtsein, Genüge. Kategorien, die neben partiinost, ideinost und tipichnost (der führenden Rolle der Partei, der Idee des Sozialismus und dem Typischen) die political correctness der dargestellten Szenerie beglaubigten.

Es sind tatsächlich die Bilder des bäuerlichen Lebens, die die Politik der Form, die Fragwürdigkeit von akademischer Malerei in dumpfer Inszenierung vergessen lassen: „Sie schreiben über uns in der Prawda“ (1951) von Aleksei Wasilew oder „Akhunowa Tursunoi unterrichtet eine Freundin“ (1954) von Wladimir Petrow zeigen leuchtende Lokalfarben, die die Propagandabotschaft von Planerfüllung und technischem Fortschritt auf den Kolchosen in Moldavien und Usbekistan zu heiter folkloristischer Monumentalität mildern. Leider läßt sich der Freiraum der moskaufernen Malerei, wie ihn der Katalogtext behauptet, in der Ausstellung nicht weiter nachvollziehen. Die Bilder, auf die sich die Argumentation stützt, fehlen.

Außerdem stört die ziemlich miserable deutsche Nachbearbeitung. Kleine Zettelchen mit Übersetzungen des Katalogtextes hängen stereotyp neben allen Bildern– dort, wo die zitierte Aussage Sinn zu machen scheint. Und kann man eine ideologiekritische Analyse von Kunsthistorikern erwarten, die Isaak Tartakowskis „Dem Aufruf des KomSoMol folgend“ (1951) als großartige Portraitkunst würdigen, bewiesen durch die „Darstellung eines strammen Komsomol-Mädchens, das sich von der Aussicht auf harte unweibliche Arbeit nicht entmutigen läßt“?

Der andere Weg, den die Ausstellungsmacher wählten, zuviel „heroischen Realismus“ zu vermeiden, ist die Genremalerei, die nach Stalins Tod während Chruschtschows „Tauwetter-Periode“ aufblühte. Der erlaubte Rückzug in den Alltag des dörflichen und kleinstädtischen Alltagslebens bot neue Motive und führte zur Programmatik der Moskauer Schule um die Brüder Tkachew. Tipichnost in ironischer Absicht zeigt Akhmed Kitajews „Die Verlobte (Meine Jugendliebe)“ (1953–55) oder Gelli Kortschows „Meine Nachbarin“ (1954). Das deutlich vorgeführte malerische Können kokettiert nicht keß, sondern schlicht sarkastisch mit dem Kitsch.

Darf man annehmen, daß Jeff Koons, der in München bekanntlich eine Wohnung sein eigen nennt, die gegenwärtige Ausstellung in der Villa Stuck schon besucht hat? Die Kunst in Amerika sei „wie ein Arzneimittel oder ein Staubsauger. Sie kann sich erst dann Erfolg erhoffen, wenn neunzig Millionen Menschen wissen, worum es geht“, schrieb ein amerikanischer Maler, 1921 übrigens. Tatsächlich kam dann Jeff Koons mit dem Staubsauger, und der junge Brite Damien Hirst probiert es derzeit mit den Arzneimitteln. Woran sich die westliche Welt noch abmüht, ist dem versunkenen Osten längst gelungen: Kunst für Millionen zu schaffen: ponyatno – Lenin hat es gefordert, sein Nachfolger vollendete die Ikonographie: „Armenische Teppichweber weben einen Teppich mit dem Portrait des Genossen Stalin“ heißt ein Gemälde von Mariam Alsamazyan (1948), eines der besten Bilder der Ausstellung. Das übrigens zur Zeit seiner Entstehung wegen zu großer „dekorativer Tendenzen“ gerügt worden war.

Villa Stuck, München, bis zum 18. April. Di.-So. 10-17, Do. 10-21 Uhr