■ Gastkommentar: Britische Selbstkritik
: Deutschland helfen, nicht verurteilen

Jedesmal, wenn rechtsextreme deutsche Schläger Brandbomben auf ein Ausländerwohnheim in irgendeinem jämmerlichen Hafen Vorpommerns werfen, schütteln Briten weise den Kopf: Wieder einmal machen die Deutschen ihre alten Mätzchen. Jedesmal, wenn eine Gruppe Skinheads Asylsuchende auf den Straßen einer sächsischen Stadt angreift, wird irgendein Neunmalkluger die Zeilen „Der Schoß ist fruchtbar noch“ zitieren. Und jedesmal, wenn eine Gruppe deutscher Wähler ein Zehntel ihrer Stimmen den „Republikanern“ oder einer ihrer rechtsextremen Konkurrentinnen gibt, hagelt es Schlagzeilen in ganz Europa. Das Wunder ist nicht, daß die „Republikaner“ in Städten wie Frankfurt 10 Prozent bekamen, sondern, daß sie nicht mehr bekamen. Anstatt strafend zuzusehen, wie es die Briten so oft tun, könnten wir versuchen, eine Lektion von Deutschland zu lernen. Angesichts einer Krise und Ausmaßen, mit denen wir kaum Erfahrungen haben, haben die Deutschen mit großem antirassistischen Bewußtsein reagiert, wie es in Großbritannien vermutlich nicht erreichbar wäre.

Wenn es den Briten ernst damit ist, im Herzen Europas liegen zu wollen, dann könnten sie die Initiative ergreifen. Wir könnten versuchen, Wege zu finden, um den Deutschen zu helfen. Immerhin ist der Andrang von Flüchtlingen aus der Dritten Welt nach Deutschland nicht allein das Problem Deutschlands, sondern Europas. Die Antwort muß koordiniert und übereinstimmend sein, nicht wie derzeit das genaue Gegenteil. Deutschlands Asylgesetzgebung ist ein Überbleibsel aus einer Zeit der europäischen Geschichte, die vorbei ist. Es hat jedes Recht und reichlich Anlaß, diese Gesetze schnell zu verschärfen, und kein Westeuropäer sollte billige Punkte damit erzielen, Deutschland für etwas zu kritisieren, was sein Land vor langer Zeit schon selbst tat.

Während Deutschland mit einer Flüchtlingswelle zurechtkommt, mit der keine andere europäische Nation seit 1945 konfrontiert war, verharren die übrigen Europäer tatenlos und verdammen damit das Land geradezu zu sozialem und ethnischen Unfrieden. Es ist den Deutschen hoch anzurechnen, daß sie noch nicht unter diesem Druck zusammengebrochen sind. Aber so, wie wir Deutschland gegenwärtig behandeln, tun wir absolut nichts, um diesen Zusammenbruch zu verhindern. Wenn wir wollen, daß sowohl Deutschland als auch der europäische Einigungsprozeß am Felsen der Fremdenfeindlichkeit zerschellen, sind wir genau auf dem richtigen Weg. Martin Kettle

Stellvertretender Chefredakteur des britischen „Guardian“,

Übersetzung: Stefan Niggemeier