"Der nächste Kanzler heißt Engholm"

■ Nach dem hessischen Wahldebakel scheuen die gebeutelten Sozialdemokraten vor einer Personaldebatte zurück / Mehr Geschlossenheit und mehr Oppositionsprofil erwünscht / Testfall "Solidarpakt"

Bonn (AFP/dpa) – Führende SPD-Politiker haben sich nach dem SPD-Debakel bei den hessischen Kommunalwahlen demonstrativ hinter ihren Kanzlerkandidaten Björn Engholm gestellt. „Der nächste Bundeskanzler heißt Engholm“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Auch SPD-Vize Wolfgang Thierse verteidigte den Parteivorsitzenden Engholm. „Es ist ganz unsinnig, ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben“, sagte Thierse. Der rheinland-pfälzische Regierungschef Rudolf Scharping (SPD) warnte ebenfalls vor einer neuen Personaldiskussion.

Zugleich mahnten diese und weitere SPD-Politiker ein deutlicheres Oppositionsprofil der Partei in Bonn an. „Wir brauchen eine sichtbarere Geschlossenheit des Führungsteams, das Führung auch wirklich praktizieren muß“, betonte Thierse. Scharping sagte, die SPD habe die Wahlen verloren, weil sie die Interessen der einfachen Leute vernachlässigt habe. Die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier verlangte von den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten bei der am Donnerstag beginnenden Solidarpakt- Klausur mit der Bundesregierung eine „klare Oppositionspolitik“. Sozialkürzungen kämen nicht in Frage. Auch der Juso-Vorsitzende Ralf Ludwig forderte eine offensive Haltung der SPD beim Solidarpakt. „Falls Forderungen der SPD nach sozialer Gerechtigkeit nicht erfüllt werden, fällt der Solidarpakt eben ins Wasser.“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, sprach sich für eine große Koalition nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr aus. Angesichts der brennenden Probleme vor allem in Ostdeutschland müßten alle Kräfte gebündelt werden. Zugleich übte er deutliche Kritik an der Parteispitze. „Die Führungsmannschaft der SPD ist derzeit nicht in der Lage, intern die nötige Zusammenarbeit zu organisieren“, sagte er. Der Parteivorsitzende Engholm sei jedoch der richtige Mann für diese Aufgabe.

Neuer Streit um Asylrecht

Die Wahlschlappe der SPD hat auch den Streit um den Asylkompromiß in der Partei neu entfacht. Der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Struck wies das Verlangen nach einer Aufkündigung dieses Kompromisses scharf zurück. „Das wäre absurd.“ Das Wahlergebnis zeige gerade, daß die Gesetze zur Vereinfachung und Beschleunigung der Asylverfahren einschließlich der Verfassungsänderung nun schnell verabschiedet und umgesetzt werden müßten. Das lange folgenlose Gerangel um die Asylpolitik habe viele SPD-Stammwähler abgeschreckt oder den „Republikanern“ zugetrieben. Der Sprecher der Linken in der Fraktion, Detlev von Larcher, sagte dagegen: „Ich halte eine Zustimmung zum Asylkompromiß für verkehrt. Diejenigen, die gedacht haben, die Wähler würden unseren Kurs in der Asylpolitik honorieren, haben sich getäuscht.“

Bubis: Respekt für Nichtwähler

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat die Wähler der rechtsradikalen Reps als „Dummköpfe“ bezeichnet. Die Reps arbeiteten mit Etikettenschwindel und Vorurteilen. Zugleich äußerte er seinen Respekt vor den vielen Nichtwählern. Sie hätten ihre Politikverdrossenheit nicht bei den Reps gelassen. Bubis richtete scharfe Rügen an die Politiker. Die Zahl der Enttäuschten bei den Kommunalwahlen sei so groß, weil sie „zuwenig Geist, Ethik und Moral geliefert haben“.