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■ „Warten auf Godot“ auf chinesisch im Haus der Kulturen

Seit den letzten Jahren findet das westeuropäische Absurde Theater in China ein immer größeres Interesse. Mit Beginn der achtziger Jahre brachten StudentInnen der beiden Theaterhochschulen in Peking und Shanghai Stücke von Ionesco („Die Nashörner“, „Die kahle Sängerin“), Pinter („Schweigen“, „Landschaft“) und Beckett auf die Bühne. Und so verwundert es auch nicht, daß Becketts Zweiakter „Warten auf Godot“ – nach einer Shanghaier Inszenierung von 1987 – vor zwei Jahren in Peking ein zweites Mal aufgeführt wurde.

Vorausgegangen waren die traumatischen Erfahrungen des Tiananmen-Massakers von 1989 und die Niederschlagung der Demokratiebewegung, die auch die künstlerische Arbeit vieler KünstlerInnen geprägt, wenn nicht gar zum Erliegen gebracht haben. Gab es vor 1989 Ansätze eines zeitgenössischen, nicht „sozialistisch realistischen“ Theaters, vor allem in den Metropolen Shanghai und Peking, mit Inszenierungen chinesischer Autoren (Stücke wie „WM“-Women-, „Der Zauberwürfel“ (mó fáng) und „Die Bushaltestelle“ oder „Der Wilde“ (yě rén), so wurden diese Ansätze durch die Juni-Ereignisse 1989 zerstört.

Langsam nur erholt sich die chinesische Theaterszene von der Paralysierung und probiert neue Stoffe und Stilmittel aus. Der seit Jahren am Pekinger Volkskunsttheater tätige Regisseur Lin Zhaohua, Leiter des „Studios zur Erforschung der Theaterarbeit“, inszenierte 1990 Shakespeares „Hamlet“. „Wenn wir uns heute Hamlet gegenübersehen, dann nicht, um einen Prinzen zu erblicken, der um der Gerechtigkeit willen Rache nimmt, und auch nicht, um eines humanistischen Helden ansichtig zu werden, sondern um uns selbst gegenüberzustehen“, erklärt Lin Zhaohua. „Daß wir imstande sind, uns mit uns selbst zu konfrontieren, ist die positivste, mutigste und wunderbarste Haltung, die der Mensch der Gegenwart aufzuweisen hat. Außer diesem haben wir nichts.“

Vor zwei Jahren hat nun der Pekinger Regisseur Meng Jinghui zusammen mit einem Künstlerteam der Zentralen Theaterhochschule in Peking Becketts Zweiakter „Warten auf Godot“ ein weiteres Mal auf die Bühne gebracht. Der Inszenierung, die dieser Tage im Rahmenprogramm der „China-Avantgarde“-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist, wird von TheaterkennerInnen nachgesagt, sie sei grotesk, komisch, eigenwillig, poetisch, einfallsreich, kurz: etwas Besonderes für das derzeitige chinesische Sprechtheater.

Die Bühnengestaltung ist mit keiner anderen Inszenierung von Becketts Drama davor vergleichbar. „Denn wer ist im Grunde genommen keine Marionette? Du denkst, du hast alles unter Kontrolle. Aber wer weiß, wer oder was in der Zwischenzeit an deinen Schnüren zieht?“ fragt Lin Zhaohua in einem Artikel über das Absurde Theater in China in der Far Eastern Economic Review. Wer zieht derzeit an den Fäden im chinesischen Sprechtheater und wie lange noch? Und wie wird Godot aussehen, wenn er tatsächlich demnächst auf der „politischen“ Bühne Chinas auftauchen sollte? Burghard Lorenz

Beckett: „Warten auf Godot“, Regie: Meng Jinghui, Zentrale Theaterhochschule Peking, Aufführungen im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee, Tiergarten: 12. bis 14.3. um 20 Uhr.