Arbeitsplätze gegen Abrißgenehmigung

■ Siemens will industriegeschichtlich bedeutsame Werkhalle abreißen lassen und droht mit dem Verlust von 2.000 Arbeitsplätzen / Landeskonservator: Siemens nutzt wirtschaftliche Zwangslage Berlins aus

Tiergarten. Berlin droht der Verlust eines seiner wichtigsten Exemplare denkmalwerter Industriekultur. Die 1897 geplante Halle des Architekten Arnold Vogt auf dem Siemens/KWU-Gelände an der Huttenstraße soll abgerissen werden – zugunsten eines möglichen Neubaus zur Fertigung von Schaufelturbinen und als politisches „Bauernopfer“ zur Beibehaltung dieses Siemens-Standortes. Zugleich soll ein ebenso alter Anbau weichen.

Die alte KWU-Halle selbst gilt als „Vorläufer der benachbarten AEG-Turbinenfabrik von Peter Behrens und ist damit Teil des historischen Industriebau-Ensembles der Jahrhundertwende im Bezirk Tiergarten“, erklärte Landeskonservatorin Gabi Dolff gegenüber der taz. Das 146 Meter lange Gebäude aus Mauerwerk sowie einer Glas-Eisen-Konstruktion zählte einst zu den „modernsten, avanciertesten und technisch herausragendsten Bauten“ im Huttenkiez. Mit dem Abriß der einstigen Maschinenhalle zur Fertigung von Waffen der „Munitionsfabrik Ludwig Loewe und Co.“ gehe der Stadt ein architektonisch wichtiger Bau und mit ihm die Geschichte eines jüdischen Industrieunternehmens verloren“, sagte Dolff.

Dem vorliegenden Abrißantrag von Siemens geht ein einjähriger Erhalt-Poker zwischen dem Unternehmen einerseits und dem Bezirk Tiergarten sowie dem Entwicklungsträger S.T.E.R.N. andererseits voraus.

Um die Ansiedlung der Schaufelfertigung zu ermöglichen, führten der Bezirk und S.T.E.R.N. gemeinsam mit Vertretern der KWU ein Planungsverfahren durch. Ein von der Architektin Inken Baller erarbeitetes Gutachten wies in neun Varianten mögliche Standorte für die geplante Halle nach, ohne daß ein Abriß des historischen Bauwerks notwendig würde.

Schienen die Planungsvarianten für Siemens lange Zeit akzeptabel und umsetzbar, so entschied sich das Unternehmen nun für eine andere Gangart: Das von Inken Baller vorgelegte Konzept sei nicht realisierbar, heißt es. Der Konzern beabsichtige den Abriß der Halle. Das Investitionsvorhaben einer neuen Halle für rund 50 Millionen Mark, so Siemens-Vorstandsmitglied Klaus Grüning, sei nötig, nachdem „Bewertungen“ des Gutachtens durchgeführt wurden. „Der Fertigungsprozeß würde im Altbau behindert werden. Statt drei Produktionsstraßen sind vier nötig.“

Die Kehrtwende von Siemens wirkt um so grotesker, weil der Konflikt um die KWU-Halle mit der Standortfrage des Werks an der Huttenstraße und dem Erhalt von rund 2.000 Arbeitsplätzen verknüpft wird.

So wurden dem Regierenden Bürgermeister Diepgen und seinem Wirtschaftssenator im Januar vom Unternehmen beschieden, daß nur mit dem Abriß der Halle der Erhalt des Standortes gesichert wäre. Der Fatalität eines solchen Vorschlags, die allein auf das Primat „optimaler Wirtschaftlichkeit und Angstmache setzt“, so Baller, folgt nun, daß Siemens selbst kein Konzept zur Bebauung vorlegen kann.

So meinen S.T.E.R.N. und die Landeskonservatorin, daß Siemens die politische Zwangslage Berlins ausgenutzt habe, um den Abriß der Halle zu forcieren. Ein „leerer Standort“ indessen sei nicht bloß Ausdruck einer Planlosigkeit, so Dolff, sondern gewollte „Stadtzerstörung“. Rolf Lautenschläger