piwik no script img

■ DaumenkinoDie Equilibristen

Paris, Anfang der sechziger Jahre. Es liegt was in der Luft; aus Passanten werden Assassins, jede Spelunke kann im nächsten Moment Schauplatz einer brutalen Razzia werden; in den Polizeigefängnissen um die Bastille werden Algerier gefoltert; in ihrer Heimat tobt der Krieg.

Aus Addis-Abeba stammt der Regisseur Nikos Papatakis, der, wie man auch hier wieder deutlich merkt, bei Cassavetes in den USA gelernt hat. Er war es auch, der den einzigen Film Jean Genets, die schwule Knastorgie „Un Chant d'Amour“, produzierte. Cassavetes und Genet – das sind die Pole, zwischen denen sich Papatakis' Arbeitsstil entwickelt.

Die Equilibristen ist eine fulminante Abrechnung mit dem paternalistischen Kolonialherren, der aus dem Sklaven einen Kleingott nach seinem Bilde formen will. Wer anderes könnte einen solchen halb sehnsüchtigen, halb hassenden Herren verkörpern als Michel Piccoli in seinen allerallerbesten Jahren. Er ist der Schriftsteller Marcel Spadice, der mit einer blonden Frau Helene (Lilah Dadi) durch die Stadt streift auf der Suche nach kleinen Jungs, vorzugsweise stolzen Algeriern. Unter einer glitzernd-blauen Zirkuskuppel finden sie den schönsten Sklaven, den die Stadt ihnen zu bieten hat. Ihre Blicke treffen sich, schmachtend- verhängnisvoll, als dem Manegendiener ein Collier in die Pferdekacke platscht. Marcel läßt ihn über die Dame zu sich locken und dressiert ihn zum Seiltänzer, was den Jungen fast das Leben kostet.

Franz-Ali, Sohn einer Deutschen (Doris Kaufmann) und eines Arabers, erkennt sich schließlich als das Geschöpf des Meisters – eine brenzlig-Genet-inspirierte Interpretation des Nord-Süd- Gefälles. Als der Meister sich längst einen neuen Zögling gesucht hat, den er unter Feuerqualen zum Rennfahrer machen will, da weiß Franz- Ali, daß er sterben muß. Und auch die zum Verrat am Sklavenhalter bereite Frau Helene kann ihn nicht davon abhalten. Eine ziemlich fatale Angelegenheit alles in allem.

mn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen