Man kann von Pest sprechen

Gespräch mit Manfred Salzgeber, Deutschlands mutigstem Filmverleiher, und Wieland Speck, Filmemacher und „Panorama“-Leiter, über Aids-Filme und deren Wirkung auf das schwule Kino  ■ Von Mariam Niroumand

taz: Letzte Woche starb der 35jährige Regisseur Cyril Collard, der in seinem autobiographischen Film „Les Nuits Fauves“ selbst die Hauptrolle eines aidskranken Bisexuellen spielt. Der Film ist in Frankreich sehr erfolgreich und hat nun auch den César verliehen bekommen. Warum kommt gerade dieser Film so gut an?

Speck: Die Dreierkonstellation Frau-Mann-Mann macht ihn für alle gleichermaßen interessant. Vor allem aber wird Aids da nicht als eine über uns hereinbrechende übernatürliche Katastrophe gedeutet, sondern eben als etwas, das unseren Alltag strukturiert.

Was unterscheidet Aids-Filme von denen aus anderen Minderheiten?

Speck: Im Fall von Aidskranken kommt die Bedrohung ja nicht nur von außen, sie ist physisch, existentiell, folgt nicht sozialen Strukturen. Niemand, der HIV-positiv und an Aids erkrankt war, hat bisher überlebt – dieses Bewußtsein wirft einen aus der Reihe der anderen Minderheiten heraus.

Es gibt in der amerikanischen Act-up-Bewegung einige Leute, die das Schicksal der Aidskranken mit dem Holocaust vergleichen. Larry Kramer, selbst Jude, sagt, „wir erleben den gleichen ungeheuren Verlust und die gleiche offizielle Verschwiegenheit, wie sie die Juden damals erfuhren“. Finden Sie diesen Vergleich angemessen?

Speck: Dieser Vergleich stimmt nur dann, wenn man von der – bislang unwiderlegten – These ausgeht, daß es sich um ein künstliches Virus handelt, das bewußt in die schwule Gemeinde eingeschleust wurde. Es ist nach wie vor merkwürdig, wie sich dieses Virus bei den Schwarzen in Afrika und bei den Schwulen in Amerika ausgebreitet hat. Die Schwulen beschäftigen sich allerdings nicht sehr oft mit dieser These, weil sie einen so paralysiert. Politisch wäre es natürlich ganz nützlich: Die These würde beweisen, daß die Heterosexualität autoritäre Herrschaftsformen ausgebildet hat, die dem Rassenwahn der Nazis vergleichbar sind. Vergleichbar sind auch die Auswirkungen: Bei uns brechen sämtliche kulturellen und sozialen Strukturen zusammen; alles, was einem das Leben in einer Gesellschaft, die einen eigentlich nicht haben will, die eigentlich noch immer die Familie als Keimzelle alles Gesunden sieht, alles, was an Gegenkulturen da war, bricht einem unter den Händen weg.

Im schwulen Film sieht man zur Zeit sowohl die integrationistische, allgemeinverträgliche Form als auch Sperrig-Aggressives, das sich mehr nach innen richtet. „Together Alone“ zeigt in langen, ruhigen Einstellungen die Gespräche zweier Männer, nachdem sie ungeschützten Sex hatten; während „The Living End“ ein wütendes Roadmovie ist, in dem zwei gegen Aids kämpfen.

Speck: Man muß schwule Filme haben, die nur für uns da sind, welche, die für alle da sind, und Filme, die nur für die anderen da sind. „Living End“ ist es völlig wurscht, wer den sieht, er richtet sich an schwule Männer. Es ist nicht wie in „Das Kuckucksei“, wo man am Ende Krokodilstränen über den Tod des einen weint. „Together Alone“ ist eigentlich ein Männerfilm, davon gibt es viel zu wenige. Alle Männerthemen haben kommerzielle Schwierigkeiten; am verletzten Mann wird kein gutes Haar gelassen, von Männern nicht und von Frauen auch nicht. Wenn Männer sich emanzipieren, werden sie eben automatisch leiser. Dadurch fallen sämtliche Promotioneffekte weg.

Was sind Ihre Erfahrungen mit dem Verleih von Aids-Filmen?

Salzgeber: Ich habe gerade mit Entsetzen festgestellt, daß mir für die ersten Aids-Filme, die ich herausgebracht habe, die Lizenzen ablaufen. Nach fünf bis zehn Jahren läuft eben die Genehmigung, einen Film kommerziell auszuwerten, ab. Die meisten Filmemacher aus den ersten Jahren sind inzwischen tot, so daß ich die Kopien an ihre Erben zurückschicken muß. Erst nach dem Tod von Arthur Bressan, der den ersten erfolgreichen Aids-Film „Buddies“ (1985) gemacht hat, hat sich der Film amortisiert, die Kopien sind nun abgenutzt. Ich kann keine neuen erwerben, denn das Ganze hat mich im Laufe der Jahre über eine halbe Million gekostet, und ich sehe es einfach nicht mehr ein.

Die Aids-Hilfen machen praktisch keine Medienarbeit, und wenn sie sich äußern, dann pinkeln sie Leute wie Rosa von Praunheim an, der immerhin etwas macht.

Wie laufen denn die Filme in den Kinos?

Salzgeber: Die Besitzer lassen schnell die Finger davon, weil die Leute nicht kommen. Mit „Buddies“ zum Beispiel hatten wir Glück, das war so ein sanfter, stiller Film, der in München wochenlang in einem 90-Plätze-Kino lief. Dann gibt es solche schrecklichen Filme wie „Longtime Companion“, in denen sich die Heteros betrauern, daß sie so arme Schweine sind, deren Freunde an Aids sterben. Sämtliche schwulen Elemente, wie zum Beispiel die Promiskuität, sind aus diesem Film herausgeschnitten worden; übrig bleiben schwule Beziehungen, die aussehen, als ob sie hetero sind. Ein Meisterwerk wie „Together Alone“ habe ich dann erst gar nicht mehr in den Verleih genommen, denn wann soll ich den abwickeln? Sperrigere Filme wie „Silver Lake“, ein Sterbetagebuch zweier Freunde, werden überhaupt keine Chance haben, auch wenn zum Schluß Yoko Ono singt. In fünf Jahren bin ich nicht mehr da. Ich würde den Leuten einen Berg Schulden hinterlassen, wenn ich solche Filme jetzt noch an Land ziehe.

Warum haben die Aids-Hilfen kein Interesse an Filmen zum Thema?

Salzgeber: Aus Unfähigkeit. Wir haben es eben am Anfang nicht geschafft, in den Laden einzutreten und zu sagen, „das hier sind unsere Filme, und die benutzt ihr jetzt gefälligst statt irgendwelcher bunten Kondomreklamen!“ Die sollen die Lizenzen kaufen, Videos machen und ihren Mitgliedern kostenlos zur Verfügung stellen. Das sind halt Bürokraten. Die wollen eben mehr Ringelpiez mit Anfassen, für teures Geld Psychologen, die dann gegenseitig Fingerhakeln machen, weil sich ihre Klienten auf den Tagungen die Nächte um die Ohren schlagen; machen Hochglanzbroschüren, um gemeinsam Trauern zu lernen... Ein Film kann in acht Minuten so viel leisten wie diese ganzen Seminare in Wochen. Seit sieben Jahren versuche ich, gemeinsam mit der Aids-Hilfe und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und denen für politische Aufklärung dafür zu sorgen, daß von Betroffenen gemachte Filme – darin besteht ja ihr großer Wert – auch gezeigt werden. Dann habe ich irgendwelche Damen aus Dresden am Telefon, die mich fragen, „und wo, bitte schön, ist der Aids-Aufklärungsfilm für kleine Mädchen?“ Dann sage ich: „Den gibt's nicht, aber die kleinen Mädchen sind so blöde nicht, die können auch von einer alten Schwuchtel etwas lernen.“ Die Unfähigkeit, auch der Mehrheit der Schwulen, von einer kleinen Minderheit, die ihr Leben in die Hand nimmt, etwas zu lernen, ist wirklich frappierend. Bestimmte Frauen kapieren das besser als die betroffenen Männer.

Gehen denn Aidskranke in Filme über Aids?

Salzgeber: Ja, wenn sie von ihrer Aids-Hilfe getriezt werden, wenn es heißt „Jetzt Flagge zeigen!“ Zum „World Aids Day“ sind alle Kopien, die ich habe, ausgeliehen. Da beschweren sie sich, daß zuwenig Kopien da sind, und schaffen eilig welche hin und her.

Was bedeutet diese Entwicklung für das schwule Kino insgesamt?

Salzgeber: Wie fürs schwule Leben mit Aids überhaupt: Es ist ein unglaublicher Einschnitt; man kann von Pest sprechen. Alle Leute, die ihre Potenzen irgendwie anders in ihrer Emanzipation hätten einsetzen können, blockieren alles zugunsten von aidskranken Freunden. Der Film „Sex Is“ von Marc Huestis redet über die Zukunft von Sex und Promiskuität aufgrund von Erfahrungen schwuler Männer aus San Francisco. Er zeigt Sachen, die man normalerweise nur im Pornofilm sieht. Das könnte die Diskussion weitertreiben.

Hat Aids die Entwicklung hin zu expliziterem Sex im schwulen Film unterbrochen?

Salzgeber: Gott sei Dank nicht; angesichts der Gefahren von Aids ist es für viele Autoren wichtig, ihr Ego dagegenzusetzen. Ein Film wie „Sex Is“ insistiert ja schon im Titel darauf, daß jetzt noch nicht alles vorbei ist. Also, das ist nicht unbedingt unterbrochen, aber es liegt eben ein schwerer Schatten über allem Sexuellen, seit es Aids gibt. Je länger das dauert, desto schwieriger wird es für die Betroffenen, damit umzugehen: Irgendwann verliert jeder jemanden, der für ihn wichtig ist, und das geht eben ans Eingemachte. Vielleicht wird dann war, was man den Schwulen immer nachgesagt hat: daß sie Drogen brauchen, um Sex zu haben. Wenn man weiß, daß man sterben muß, geht man andere Risiken ein. Wenn Sex einfach eine Mode wäre, könnte man es einfach seinlassen. Aber es ist eine Lebensbedingung; also, es muß irgendwie weitergehen.

Katalog und Informationen zu den Filmen, vor allem für Leute, die Lizenzen erwerben wollen, bei der Edition Manfred Salzgeber, 030/ 2153209.