Neuer Frühling für den Kurdenkrieg

Die Regierung der Türkei und die Guerilla PKK rüsten für das kurdische Frühjahrsfest „Newroz“/ „Gegen einen Aufstandsversuch sind Maßnahmen getroffen worden“  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Sowohl die türkische Regierung als auch die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK bereiten sich zur Zeit auf den 21. März vor, das traditionelle kurdische Frühjahrsfest „Newroz“, an dem erneut das Kräfteverhältnis zwischen Staat und PKK-Guerilla gemessen werden wird. Jahrzehntelang war es verboten, den Newroz zu begehen; im vergangenen Jahr erlaubte die neue türkische Koalitionsregierung unter Süleyman Demirel die Feiern zum ersten Mal. Doch als sich die Veranstaltungen in Türkisch-Kurdistan zu Massendemonstrationen und Sympathiebekundungen für die PKK entwickelten, schoß das türkische Militär. Die Machtprobe endete in einem Blutbad: Mindestens sechzig Tote – fast ausnahmslos kurdische Zivilisten – waren zu beklagen.

Auch in diesem Jahr sind Opfer zu befürchten. „Die Guerilla und das Volk haben Lehren aus dem Newroz im vergangenen Jahr gezogen“, teilte die Europavertretung der PKK in einem Interview mit der Istanbuler Wochenzeitschrift Yeni Ülke mit. „Newroz wird machtvoll gefeiert werden. Die Guerilla wird das Volk beschützen.“ Die PKK kündigte an, daß Feiern auch in den türkischen Großstädten stattfinden werden, wo Millionen Kurden leben.

Regierungssprecher verweisen wie im vergangenen Jahr darauf, daß die Feiern erlaubt seien. Doch „illegale, separatistische Demonstrationen“ würden nicht geduldet. Der türkische Innenminister Ismet Sezgin verspricht den Kurden „jedwede Erleichterung, damit sie in Ruhe Newroz feiern können“. Aber gleichzeitig bereitet sich der Staat polizeilich und militärisch vor: In Ankara wird ein Krisenstab gebildet, dem Mitarbeiter der Polizeibehörde und des Militärs angehören. Sondereinheiten des türkischen Militärs werden wegen Newroz zusätzlich nach Türkisch-Kurdistan verlegt. „Die PKK bewaffnet sich für den Newroz“, sagt Innenminister Sezgin. „Doch wir werden nicht zulassen, daß die separatistischen Kreise den Newroz ausbeuten. Gegen einen Aufstandsversuch sind Maßnahmen getroffen worden.“

Der Chef der Antiterrorabteilung der türkischen Polizei, Cevdet Saral, ist zuversichtlich, daß der Staat alles unter Kontrolle haben wird. Er rechnet damit, daß in den türkischen und kurdischen Großstädten eine Machtdemonstration der PKK ausgeschlossen ist. Allein in ländlichen Regionen habe die PKK eine Chance für ihre Aktivitäten.

Militär gegen PKK, Justiz gegen HEP

Einen Vorgeschmack auf die Entschlossenheit des türkischen Staates erhielten zwölf Abgeordnete der prokurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP), die die Region bereisten. Als sich die Parlamentarier am Montag in der Stadt Cizre mit rund 2.000 Bürgern vor dem Regierungssitz sammelten, fielen Schüsse. Die Abgeordnete Leyla Zana rettete sich im letzten Augenblick vor einem Panzer, der in die Menge rollte. „Die Gewalt des Staates ist allgegenwärtig. Der Staat will Newroz in Blut baden“, prophezeite der HEP-Abgeordnete Hatip Dicle.

Vieles spricht dafür, daß seine Schreckensvision Realität werden könnte. Ministerpräsident Demirel, der 1991 mit Demokratisierungsversprechen an die Macht kam und von der „Anerkennung der kurdischen Realität“ sprach, hat wie alle Regierungen zuvor die Kurdenfrage in die Hände des Militärs gelegt. Die Verlängerung des Ausnahmezustandes in den kurdischen Provinzen passierte vorgestern nacht das türkische Parlament.

Gegen die HEP, die als legale Partei ein kurdischer Dialogpartner für den türkischen Staat hätte sein können, läuft ein Verbotsantrag vor dem Verfassungsgericht. Begründet wird er mit der Forderung von HEP-Politikern nach dem Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes. Es gilt als sicher, daß die Partei schon bald verboten wird. „Es gibt Kräfte, die die Kurden von der Basis der Legalität trennen wollen“, meint HEP-Vorsitzender Ahmet Türk. Er rechnet mit „Provokationen“ am Newroz: „Da werden Tausende Polizisten, Militärs und Gendarmen sein. Werden sie auf die Massen schießen lassen, weil jemand eine Parole anstimmt?“

Schwere Verluste der Guerilla

Selbst Gouverneuren vor Ort, denen die Sicherheitskräfte unterstellt sind, ist die Newroz-Strategie des Staates ein Rätsel. Der Gouverneur von Sirnak, wo am vergangenen Newroz über 20 Kurden im Kugelhagel des Militärs starben, klagt: „Nach der Entscheidung, die auf der Koordinierungssitzung der Gouverneure getroffen wurde, werden Newroz-Feiern auf keinen Fall erlaubt. Auf der anderen Seite erklärt der Innenminister im Fernsehen, daß Newroz in Feststimmung gefeiert werden kann.“ Die Forderung des Gouverneurs: „Falls Newroz erlaubt ist, sollen die Grenzen festgelegt werden, oder es soll verboten werden.“

Die PKK hat durch die Militäroffensive der Türkei gegen Guerillalager im Nordirak in den letzten Monaten schwere Verluste erlitten. Eine rund 300köpfige Guerillagruppe, die über die iranische Grenze am Berg Ararat vordrang, wurde vergangene Woche vom türkischen Militär eingekesselt. In türkischen Zeitungen wurden Fotos mit Leichen von PKK-Partisanen veröffentlicht, 38 sollen getötet worden sein.

Die Kampagne in den türkischen Medien vom „großen Schlag gegen die PKK“ paßt ganz in die Ideologie der Regierung, daß die PKK am Ende sei. Türkische Politiker werden Newroz dazu nutzen, dies zu bekräftigen. Mit Waffen wird jede kleinste Sympathiebekundung für die PKK beantwortet werden. PKK-Chef Abdullah Öcalan ist sich dieser Situation bewußt: „So friedlich wie möglich soll das Nationalfest Newroz gefeiert werden“, sagte er in seinem letzten Interview mit der Kurdistan-Nachrichtenagentur Kurd-Ha.