Fiat über Festnahmen erleichtert

In der Konzernzentrale war man besorgt, daß Fiat als einziger Großkonzern von der Aktion „Mani pulite“ verschont bleiben könnte/ Italiens Regierung vergrößert das Wirtschaftschaos  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Reaktion aus und in Turin war ganz anders, als die Welt sie sich vorgestellt hatte. Da waren gerade zwei der allerhöchsten Manager der Fiat-Gruppe – der Finanzchef der Fiat-Holding und der Leiter der Versicherungsgruppe Toro – wegen Bestechungsverdachts verhaftet worden. Doch in der Fiat-Zentrale am Corso Marconi registrierten Beobachter ein „erleichtertes Aufatmen“, so einer der für die Firma arbeitenden Börsenagenten: „Die hatten regelrecht Angst, das Volk könnte mißtrauisch werden, wenn alle anderen Großunternehmen geschmiert haben und nur Fiat kein Verfahren am Hals hat.“

Zynismus, Durchtriebenheit, hochklassiges politstrategisches Denken eines Weltunternehmens? Tatsache jedenfalls ist, daß bisher alle mächtigen Firmen und Trusts wegen Mitspielens im gigantischen „Tangentopoli“ (von tangente=Schmiergeld) Ermittlungsverfahren am Hals haben; von Pirelli (Gummi und Kunststoff) über Berlusconi (Medien und Bauunternehmen) bis zu den großen Staatsholdings ENI und ANAS. Bei Fiat aber hatten die Ermittler erst ein einziges Mal vorbeigeschaut, in der Cogefar impresit, einer Baufirma mit nicht sonderlich zentraler Bedeutung.

Seltsamer Zufall: Just eine Woche bevor die Mailänder Ermittler der Aktion Mani pulite, Saubere Hände, auf die Fiat-Connection mit einem Bestechungswert von umgerechnet zwei bis drei Millionen DM stießen, hatte Fiat-Chef Agnelli für seinen Konzern ein angesichts der weltweiten Rezession geradezu sensationell positives Ergebnis vorgelegt.

Die Aktionäre konnten so inflationsbereinigt stattliche acht Prozent des Gewinns mit nach Hause nehmen – was im Inland zu einem wahren Höhenflug der Fiat-Aktie um fast 20 Prozent führte. So blieb, als die Verhaftungen der Top-Manager bekannt wurden, der Kursverlust bei Null. Dabei resultiert die Dividende, bei genauem Hinsehen, nicht im mindesten aus befriedigenden Produktions- und Verkaufsquoten des Vorjahrs (100.000 der insgesamt 350.000 Fiat-Beschäftigten wurden in Kurz- oder Nullarbeit geschickt), sondern aus einer kreditorientierten Kapitalaufstockung von 15 Prozent. Eine geradezu geniale Taktik: Mit dem sofortigen Zulauf von Käufern und dem Anstieg der Kurse um 20 Prozent ist diese Erhöhung breits weitgehend abgedeckt, die Kredite zurückgezahlt.

So gut wie Fiat gelingt es freilich nicht allen Unternehmen, mit der tiefen Krise fertigzuwerden, in die das Land geraten ist. Wobei sich so ziemlich alle sozialen und ökonomischen Kräfte redlich bemühen, das Chaos weiter zu erhöhen. Kaum hatte die Regierung Amato ein Programm aus Steuererhöhungen, Einsparungen und Verkäufen von Staatsbesitz verkündet, zogen sich genau jene zurück, die ebendiese Maßnahmen vor dem vehement gefordert hatten: die Gewerkschaften und die Mittelständler. Steuererhöhung, so hatten sie gemeint, solle man nur den ganz gut Verdienenden abverlangen. Kaum war auch Privatisierung angesagt, brach der Sturm der Entrüstung los. Durch die Weltpresse ging zum Beispiel der Streik des staatlichen Tabakmonopols, der alsbald zum totalen Blackout des Zigarettenverkaufs im Lande führte. Ob es um die staatliche Telefongesellschaft SIP oder den Elektrizitäts-Staatskonzern ENEL ging, um den Versicherungstrust INA oder die in den 50er Jahren verstaatlichte Stahlindustrie: kaum waren die Privatisierungspläne heraus, gingen die Querschüsse los. Besonderes Bonbon: Als heftigster Blocker aller Staatsverkäufe erwies sich ausgerechnet jener Ressortchef, der für diese Verkäufe eigens ernannt worden war, Industrieminister Guarino. Nur mit Mühe konnte Regierungschef Amato ihm die Zuständigkeit für die Verscherbelung des Staatseigentums entwinden und einem Sonderminister übertragen; seither gibt es bei jeder Kabinettssitzung Streit zwischen den beiden. Die angesehene Wirtschaftszeitung Il sole 24 ore versprach ihren Lesern erzürnt, „den Namen Guarino in unserem Blatt nicht mehr zu nennen, bis der Mann abgetreten ist“.

Um das inzwischen trotz aller Erfahrung mit ständigem Durchwurschteln immer unruhiger werdende Volk wenigstens etwas zu beruhigen, versprach Amato zwei Dinge: Steuergerechtigkeit und ein Beschäftigungsprogramm. Beides geriet, wieder einmal, zur Lachnummer und kann allenfalls Steuerberater erfreuen.

Die Steuergerechtigkeit sollte vor allem durch die Einführung des redditometro erreicht werden, einem Fragebogen, mit dem der Grundsteuersatz ermittelt werden soll. Der Einkommensmesser soll aufgrund von 170 Einzelfragen den Wohlstand des Bürgers werten und daraus ableiten, wieviel Einkommen er realiter haben muß. Zur Steuerehrlichkeit gezwungen werden sollten so vor allem mittelständische Händler. Nur: Nachdem der Handel in Italien innerhalb der letzten drei Jahre um mehr als 40 Prozent zurückgegangen ist, kann der Staat den Nackten kaum mehr etwas aus der Tasche ziehen. Ähnlich ins Leere geht das sogenannte Beschäftigungsprogramm. Jedoch ein Großteil der „Förderung“ bestand in Lohnkürzungen, welche die Betriebe dann für Neueinstellungen verwenden sollten. So sollen Jugendliche, die erstmals eine Stelle antreten, künftig 20 Prozent weniger als den Tariflohn erhalten. Das schafft nach Regierungsangaben einen Topf von ungefähr einer Milliarde DM, für die 70.000 bis 80.000 Jugendliche zusätzlich eingestellt werden könnten. Kein Wort aber, was die Neueingestellten denn produzieren sollen, wo es doch vor allem am Verkauf hapert.

Auf der Einnahmenseite versucht die Regierung demgegenüber, so ziemlich alles abzuzocken, dessen sie habhaft werden kann. Mitunter bedient sie sich dabei geradezu kontraproduktiver Tricks. So wurde bei Nacht und Nebel eine Steuer auf Bankguthaben eingeführt – alle Sparbücher wurden blockiert, der Betrag automatisch abgeführt. Erfolg: die Italiener legen ihr Geld nicht mehr auf Sparbücher, oder wenn, dann im Ausland.

Und weil das alles dem Staat nicht reicht, werden Finanzbeamte losgeschickt, auch winzigste Übertretungen mit massiven Strafen zu ahnden. In Rom und in Trapani, in Tarent und in Mailand wurden Kinder zwischen sechs und acht Jahren vor Geschäften abgefangen und nach dem scontrino fiscale, der steuerlichen Quittung für gekaufte Bonbons oder Brötchen gefragt. Hatten sie diese nicht, wurde nicht nur der Kaufmann mit Strafen um die 1.000 DM belegt, sondern auch den Eltern der Kinder eine Strafe von 220 bis 330 Mark abverlangt.