Bannmeile – Relikt des Obrigkeitsstaats

Demonstrationen gegen Asylgesetze bringen Bannmeilengesetz in Kritik/ Schlupflöcher zuhauf/ Bonns Polizeipräsident: Verfassungsrechtlich bedenklich, kaum praktikabel  ■ Aus Bonn Bernd Neubacher

Bonn (taz) – Protest vor dem Parlament? Eine gute Idee – aber verboten. „Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge“ sind im „befriedeten Bannkreis“ vor dem Bundestag untersagt. Ausnahmen kann nur der Bundesinnenminister in Absprache mit den Präsidien des Bundestags und des Bundesrats zulassen. Gegen 46 Personen waren letztes Jahr Verfahren wegen Verletzung der Bannmeile anhängig.

Tatsächlich marschierten weitaus mehr Menschen in die Verbotszone. So tauchten im Dezember plötzlich 300 Bauern vor dem Parlament auf. Dieses Jahr nun könnte ein Rekord fällig sein. Bei den Protesten gegen die neuen Asylgesetze ist das Eindringen in die Bannmeile bereits im voraus angekündigt. Mitglieder des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“ rufen dazu auf, „friedlich in die – ohnehin vordemokratische – ,Bannmeile‘ zu gehen“, wenn CDU, SPD und FDP in zweiter und dritter Lesung die großräumige Umleitung von Flüchtlingen um die Bundesrepublik beraten.

Das Bannmeilengesetz, ursprünglich eine Bestimmung aus Weimarer Zeiten, gilt zunehmend als Relikt. Daß außerhalb der Sechs-Kilometer-Zone das Volk zusehen soll, wie seine Vertreter im Regierungsviertel von Lobbyisten aller Art bearbeitet werden, will nicht jedem einleuchten. „Der verfassungsrechtliche Souverän bleibt somit ausgeschlossen“, bemängelt Thomas Mayer von der „Initiative Demokratie entwickeln (IDee)“ das „obrigkeitsstaatliche Überbleibsel“. Neuerdings plädiert auch der Bonner Polizeipräsident Michael Kniesel für die Abschaffung der Bannmeile. Der Jurist hält das Gesetz für unvereinbar mit dem Grundrecht der Demonstrationsfreiheit, in seinen Augen läßt sich die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ebenso durch Auflagen nach dem Versammlungsgesetz sicherstellen. Die Nötigung von Abgeordneten und Parlament steht nach dem Strafgesetzbuch ohnehin unter Strafe. Wolle man die Bannmeile effektiv schützen, wäre „halb Bonn ein Heerlager und das Parlamentsviertel eine Wagenburg“. Für den „Tag X“, das Datum der restlichen Lesungen zur Grundrechtsänderung, steht noch nicht fest, will er daher mit der Bundestagspräsidentin und dem Bundesinnenminister eine kurzfristige Verkleinerung der Tabu-Zone vereinbaren. Die Behörde von Rudolf Seiters hält mit weiten Teilen der CDU nach wie vor generell an der Bannmeile als „Garantie der Arbeitsfähigkeit des Parlaments“ fest. Denkbar ist aber auch, daß die Protestler die Ausnahmeregelung per einstweiliger Verfügung durchsetzen können. Ein Fall für das Bundesverfassungsgericht?

In der Vergangenheit wurde das Verbot der politischen Versammlung von Demonstranten immer wieder phantasievoll ausgehebelt, wenn etwa ein einzelner mit einem an Ballons befestigten Tranparent durch die Bannmeile lief. In einer Glassäule gesammelte Unterschriften wurden als Kunstaktion angemeldet.

Der „Trägerkreis Asylrecht“ plant einen Gottesdienst vor dem Bundestag, auch erwägt man das Landen per Fallschirm in der Verbotszone. Der Schlußverkauf des Grundgesetzes vor dessen Neudruck dürfte als Bauchladen-Gewerbe ebenfalls nicht strafbar sein. Die Darbietung politischer Lieder wiederum fiele in eine juristische Grauzone. Die Polizei fühlt sich schon zu Genüge von den Politikern selber veralbert: Mal deklarieren Abgeordnete polizeilich kontrollierte Demonstranten unversehens als Parlamentsbesucher, mal werden ganze Delegationen vom Kanzler höchstselbst empfangen, dann wieder müssen sich die Beamten vor Parlamentariern rechtfertigen, warum sie friedliche Demonstranten kriminalisieren. Kommt es zu Verurteilungen, trifft es zuweilen ausgerechnet die, die das Bannmeilengesetz schützen soll. So müssen vier PDS-Abgeordnete Geldstrafen zahlen, weil sie während des ersten Allparteiengesprächs zum Asylrecht vor dem Bundestag demonstrierten.