„Faktischer Zulassungsstopp“ für Ärzte

■ Marburger Bund kritisiert Bedarfszahlen für Kassenärzte als „verfassungsrechtlich unhaltbar“

Berlin (taz) – 9.000 Ärzte dürfen sich in der Bundesrepublik noch mit einer Kassenzulassung niederlassen. Dies ergibt sich aus den Bedarfszahlen, die gestern der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen veröffentlicht hat. Nach Ansicht des Marburger Bundes, der Vertretung der Krankenhausärzte, wird das zu einem faktischen Niederlassungsstopp führen.

Der Sprecher des Marburger Bundes, Uwe Preusker, bezeichnete die Rechnung des Bundesausschusses als „üblen Taschenspielertrick“. Stichtag für die 9.000 offenen Plätze sei nämlich der 30. November 1992. Danach habe aber aufgrund der Torschlußpanik der Ärzte eine Antragswelle auf eine Kassenzulassung eingesetzt, die allein im Januar 1993 zu rund 15.000 Anträgen führte. Für Dezember 92 schlagen weitere 3.000 bis 4.000 Neuzulassungen und Anträge zu Buche. Real, so Preusker, dürften noch 2.000 Kassenarztsitze zu vergeben sein, und zwar nur in ländlichen Gebieten.

Dank des Rechentricks kann der Bundesausschuß nun verkünden, daß zwar bereits vor der Niederlassungswelle rund 50 Prozent der 450 Planungsbezirke als überversorgt gelten, daß aber in der anderen Hälfte eine Niederlassung noch möglich ist. So kann Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) das Gesicht wahren. Hatte er doch am 26. November vergangenen Jahres noch behauptet, nach dem 1. Januar 93 sei eine Niederlassung noch in 60 Prozent der Planungsbezirke möglich. Mittlerweile hat der Minister seine Prognose schon heftig nach unten korrigiert. In einem Interview mit dem Handelsblatt erklärte er, daß nach Schätzungen seines Ministeriums bis zum Oktober 1993 noch 30 bis 35 Prozent der Bezirke offen sein werden.

Die Bedarfszahlen des Bundesausschusses legen verbindlich fest, auf wie viele EinwohnerInnen ein Arzt kommt. Dabei wird nach Fachgruppen und nach zehn unterschiedlich dicht besiedelten Regionen unterschieden. In „Kernstädten“ sollen auf 2.269 Einwohner und in ländlichen Kreisen auf 1.753 Einwohner ein Allgemeinarzt kommen. Die vom Bundesausschuß vorgelegten Zahlen müssen nun vom Bundesgesundheitsminister abgesegnet werden. Die Bedarfszahlen für Zahnärzte muß der Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen noch festlegen.

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete die Bedarfszahlen als „verfassungsrechtlich unhaltbar“. Seine Organisation werde alle politischen und rechtlichen Maßnahmen ausschöpfen, um die faktische Niederlassungssperre für Kassenärzte rückgängig zu machen. Dorothee Winden