Kein Vergessen und Vergilben

■ „Gebraucht. Gebremst...Gefördert“: Eine Ausstellung zum gesellschaftlichen Aufbruch der Frauen nach 1945

„Am Anfang war eine Liste. Unter der Nummer 9 stand: Fräulein Liselotte Richter/Volksbildung“, erzählt die Historikerin Angelika Oettinger, eine der beiden Wissenschaftlerinnen, die durch hartnäckige Recherchen und unablässige Spurensicherung die Ausstellung „Gebraucht. Gebremst... Gefördert“ erarbeitet haben. Im Jahr 1989 hatte sich die BVV Charlottenburg von einigen AL-Frauen zu einem weisen Beschluß inspirieren lassen: Das politische Handeln von Frauen im Bezirk nach 1945 sollte dokumentiert werden. Vor allem die Suche im Material der ersten Nachkriegsjahre geriet dabei zu einem Hindernisrennen gegen das Vergessen und Vergilben. Kommunalpolitikerinnen wie die Antifaschistin Dr. Liselotte Richter, die ab 1945 nicht nur die erste Bezirksstadträtin für Volksbildung war, sondern auch die erste Professorin für Philosophie in Deutschland, existierten für den Bezirk Charlottenburg nämlich nicht. Ihr Name erscheint in keiner Chronik, ihr Grab konnte durch die späte Aufmerksamkeit gerade noch gerettet werden – in wenigen Jahren wäre es eingeebnet worden.

Einzelschicksale wie das geschilderte und auch die anderen im ersten Teil der Ausstellung zusammengetragenen Fundstücke ermöglichen einen Blick auf eine kurze, aber heftige Phase des Aufbruchs von Frauen in den Monaten nach 1945. Die noch nicht wieder zementierten gesellschaftlichen und politischen Strukturen, die durch den Faschismus geschwächten Männerriegen ließen eine Einmischung der Frauen zu, benötigten geradezu deren vitale Stärke und unermüdliche Tatkraft. Doch auch das Amüsement scheint dabei nicht ins Hintertreffen geraten zu sein, wie eine Fotografie beweist: „Wieder einmal Witwenball am 2. Ostersonntag“ steht auf einem Plakat, das einen Baum zur Litfaßsäule umfunktioniert. Drum herum interessierte Frauen.

„Frohe Kinder, glückliche Mütter und gleichberechtigte Frauen in einem antifaschistisch-demokratischen Deutschland – darum kämpfen wir!“ Dieser Slogan der 1945 gegründeten Frauenausschüsse zeigt zwar, in welcher Reihenfolge die angestrebten Ziele bewältigt werden sollten; dennoch ist allein der enorme Zulauf, den diese Versammlungen hatten, auch heute noch beneidenswert. Das beeindruckendste Foto der Ausstellung ist deshalb auch eine Aufnahme der 1. Delegiertenkonferenz der Frauenausschüsse im Juli 1946, die im Theater am Schiffbauerdamm, dem späteren Berliner Ensemble, stattfand. 2.000 Frauen waren gekommen, Liberale, spätere CDUlerinnen, Kommunistinnen – ob das 1992 in Berlin gegründete FrauenAktions-Bündnis diese ebenfalls angestrebte undogmatische Vernetzung, diese traumhaften Zahlen erreichen wird?

Der Rundgang im Heimatmuseum Charlottenburg führt über ordentlich auf dem Teppichboden arrangierte Trümmerreste zu SPD-Plakaten und SED-Aufrufen, vorbei an Schaukästen voller Romane und Sachbücher, zu Listen, auf denen der prozentuale Anteil der Frauen im Abgeordnetenhaus verzeichnet ist. In einem hinteren Winkel dämmert auch eine Küchenecke der fünfziger Jahre vor sich hin, mit Gerätschaften, deren Design heute wieder up to date ist. Danach bricht die Ausstellung erst einmal ab, genauso abrupt wie die aufkeimende Selbständigkeit der Frauen. Spätestens ab Beginn der fünfziger jahre werden sie wieder ausschließlich den Bereichen Hauswirtschaft, Fürsorge und Ernährung zugeteilt. Teil zwei beginnt folgerichtig da, wo Frauen wieder vermehrt anfingen, diese Rollen auch öffentlich zu hassen, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre. Stellvertretend für die Radikalität und Schlagkraft dieser Periode steht die Frauenzeitung Courage im Mittelpunkt der Ausstellungshälfte. Titelbilder und Publikationen des Verlags, die Fotografien der Gründerinnen und Druckfahnen, ja sogar das wohlarrangierte Chaos eines Layout-Tisches wecken Erinnerungen an die heißgeliebteste aller Frauenzeitschriften, die immerhin acht harte Jahre überlebt hat. Die Bruchstücke anderer Projekte — etwa des Frauenbuchladens Lilith und der SFB- Frauensendung zeitpunkte verblassen neben dem Courage-Kollektiv. Auch hier gilt: Erst wenn sie tot sind, sind sie gut. Anna-Bianca Krause

„Gebraucht. Gebremst... Gefördert. Frauen und Politik in Charlottenburg nach 1945“, im Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstraße 69. Di.-Fr. 10-17, So. 11-17 Uhr.

Der offizielle Teil 2 der Ausstellung, der sich ausschließlich mit der autonomen Frauenbewegung beschäftigt, läuft parallel im FFBIZ (Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum), Danckelmannstraße 15 und 47. Di. 14-18, Do. 10-13 und Fr. 15-22 Uhr.