USA: Arzt vor Klinik erschossen

■ Täter war Abtreibungsgegner/ Lauwarme Distanzierungen der sogenannten „Lebensschützer“

Washington (taz) – Am Sonntag noch hatten Michael Griffin und seine Mitstreiter im Gottesdienst für die Seele ihres Gegners gebetet. Am Mittwoch, als gegen neun Uhr morgens eine Gruppe von Abtreibungsgegnern den Zugang zu einer Klinik in Pensacola, Florida, zu blockieren versuchte, wartete Griffin auf dem Parkplatz auf den Klinikarzt David Gunn. Als der an ihm vorbeiging, rief Griffin: „Du bringst keine Babies mehr um“ – und feuerte drei Schüsse auf den 47jährigen ab. Gunn starb zwei Stunden später im Krankenhaus. Michael Griffin, 31 Jahre alt, stellte sich der eintreffenden Polizei mit den Worten: „Ich habe gerade Dr. Gunn erschossen.“

Damit haben Abtreibungsgegner in den USA zum ersten Mal eine ihrer zahlreichen Drohungen gegen ÄrztInnen und BetreiberInnen von Kliniken wahr gemacht, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Solche Einschüchterungsversuche sind nicht neu. Doch nach dem Wahlsieg Bill Clintons sowie mehrerer Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, in denen das grundsätzliche Recht der Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch festgehalten wurde, haben Organisationen wie „Operation Rescue“ ihren Druck auf Kliniken massiv verstärkt.

„Wir haben das schwache Glied in der Kette gefunden“, hatte Randall Terry, Gründer und Chef von Operation Rescue unlängst verkündet. „Es sind die Ärzte. Wir werden ihre Namen öffentlich machen und sie an den Pranger stellen.“ Auf einer Demonstration mit Terry im letzten Sommer in Alabama waren erstmals Poster mit dem Bild Gunns im Stil von Fahndungsphotos aufgetaucht. Unter der Überschrift „Wanted“ waren unter anderen Gunns Addresse und Telefonnummer angegeben.

In den Hauptquartieren der Anti-Abtreibungsorganisationen machte man denn auch keine allzu großen Anstrengungen, sich von dem Mord zu distanzieren. Don Treshman, Direktor von „Rescue America“, mit dessen Gruppe Griffin vor der Klinik in Pensacola aufgetaucht war, bezeichnete den Tod des Arztes als „bedauernswert“. Andererseits, so Treshman, könne niemand bestreiten, daß damit „eine ganze Menge Babies gerettet worden sind“.

Andere nutzten die Gelegenheit, unverhohlene Warnungen an die Clinton-Administration zu richten. „Wenn der Staat weiterhin versucht, ganz normalen Protest durch gerichtliche Verfügungen zu unterdrücken“, erklärte Joseph Foreman, Mitbegründer von Operation Rescue, „dann überläßt er das Feld den Steinewerfern und Attentätern.“

Nun belassen es die „ganz normalen“ AbtreibungsgegnerInnen bei ihren Aktionen nicht dabei, ins Gebet vertieft Klinikeingänge zu blockieren. In Kliniken einzudringen, die Einrichtung zu zertrümmern oder Frauen aus dem Behandlungszimmer zu jagen ist nach Auffassung von Gruppen wie Operation Rescue ziviler Ungehorsam.

Aus Sicht der „Lebensschützer“ erweisen sich solche Aktionen als höchst effektiv. Verzeichnete man 1991 noch 96 Straftaten gegen Kliniken, worunter Sachbeschädigung, Brandstiftung, Bombenanschläge oder Morddrohungen zusammgefaßt werden, kam es 1992 zu 186 Gewalttaten gegen ÄrztInnen, Patientinnen oder Kliniken. Nach Angaben der „National Organisation For Women“ (NOW), der größten Frauenrechtsorganisation in den USA, gibt es mittlerweile in 80 Prozent aller Gemeinden (communties) weder Mediziner noch Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Im Januar konnten Abtreibungsgegner zudem einen juristischen Erfolg erzielen, als der Oberste Gerichtshof entschied, daß der Bund kein Recht hat, Klinikblockaden zu verbieten. Frauen- und Bürgerrechtsorganisationen versuchen weiterhin, gerichtliche Verfügungen gegen Klinikblockaden auf einzelstaatlicher Ebene zu erkämpfen. Im Kongreß planen SenatorInnen, darunter Ted Kennedy aus Massachussetts, einen Bundesgesetzentwurf gegen Klinikblockaden einzubringen.

Doch bis der alle gesetzlichen Hürden passiert hat, müssen viele Frauen weiterhin eine mehrtägige Reise in die nächstgrößere Stadt oder den nächsten Bundesstaat in Kauf nehmen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.

Dabei sind sie zunehmend auf Mediziner wie David Gunn angewiesen, der bereit war, auch in Südstaatenregionen zu praktizieren, wo andere Kollegen von Abtreibungsgegnern bereits vertrieben worden waren. Seine Ermordung dürfte nun genau das bewirken, was AbtreibungsgegnerInnen erhoffen: Angst und Abschreckung bei anderen ÄrztInnen. Andrea Böhm