„Gefahr, daß Menschen keinen Schutz finden“

■ Interview mit Walter Koisser, Vertreter des UNHCR in Bonn

taz: Herr Koisser, Sie haben für das Amt des UNHCR grundsätzliche Einwände gegen den neuen Asylartikel vorgebracht.

Walter Koisser: Die Einwände beziehen sich vor allem auf das Manko, daß die Genfer Flüchtlingskonvention nicht als materielle Anspruchsgrundlage mit einbezogen wurde. Das sehen wir doch als Hindernis gerade im Hinblick auf die europäische Harmonisierung. In allen europäischen Vertragswerken wird auf die Genfer Konvention hingewiesen.

Sie haben erneut die Definition des Flüchtlingsbegriffs moniert.

In der Genfer Konvention kommt das subjektive Moment der Furcht zum Tragen, während in der Rechtsprechung der Bundesrepublik die objektive Verfolgung maßgeblich ist. Wir sehen deshalb die Gefahr, daß Menschen, die nach unseren Maßstäben in Gefahr sind, hier keinen Schutz finden.

Im Zentrum der Neuregelung steht die Drittstaatenregelung, was hält der UNHCR davon?

Die Drittstaatenregelung kritisieren wir insoweit, als sie nicht die Möglichkeit vorsieht, im Zweifelsfall doch noch Beweise vorzubringen. Es kann doch nicht so sein, daß jemand automatisch an der Grenze abgewiesen wird, wenn er durch einen sicheren Drittstaat durchgereist ist. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: wenn jemand aus Afghanistan in Pakistan Schutz sucht, wird er ihn bekommen. Aber wenn ein Iraner der Bahai- Glaubensgemeinschaft dort Schutz sucht, dann wird er ihn wahrscheinlich nicht in Anspruch nehmen können. Man kann das also nicht verallgemeinern und automatisieren. Das Prinzip der Drittstaaten kann man anwenden, es muß aber im Einzelfall die widerlegbare Vermutung offenlassen. Der vorliegende Vorschlag sieht genau dies nicht vor.

Die Neuregelung des Asylrechts beruft sich auf die Verträge von Schengen und Dublin. Hält das neue Recht die europäischen Standards ein?

Die Resolutionen, die im letzten November in London von den zuständigen EG-Ministern beschlossen wurden, lassen für die Drittstaatenregelung eine Einzelfallprüfung zu, konform zur Genfer Flüchtlingskonvention. Die bundesdeutschen Regelungen müßten etwas genauer sein.

Fürchten Sie Auswirkungen auf die großen europäischen Flüchtlingsprobleme, etwa aus Gebieten des ehemaligen Jugoslawien?

Hier sollte eine großzügige Regelung getroffen werden. Wobei ganz klar ist: Menschen, die aus Bosnien-Herzegowina ganz gezielt wegen ihrer Rasse, ihrer Religion vertrieben werden, erfüllen ganz sicher die Kriterien der Genfer Konvention. Interview: Tissy Bruns, Bonn