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Es kriselt in der SPD. Zwar hat sich die Parteiführung nach dem hessischen Wahldebakel geschlossen hinter ihren Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten gestellt. Doch an einem Strang zieht der „Verein unabhängiger Sprecher“ nicht. Aus Bonn Tissy Bruns

Loyal mit zusammengebissenen Zähnen

Auf einmal marschierten sie beinahe wie ordentliche Parteisoldaten auf, die diszipliniert das sozialdemokratische Gesamtinteresse über die eigene Person stellen. Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, die schillernden Solitäre, wiesen wie alle anderen Präsidiumsmitglieder weit von sich, das hessische Debakel dem Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten anzulasten. Auch die Zetteleien gegen Fraktionschef Hans-Ulrich Klose scheinen erledigt – fast erleichtert honorierte die Fraktionsmehrheit am letzten Dienstag einen der sehr seltenen energischen Auftritte ihres Vorsitzenden. Die Stimmung stand gegen den Parteilinken Horst Peter, der via Spiegel für die Abwahl Kloses geworben hatte. Der Bundestagsabgeordnete Detlev von Larcher, Sprecher des linken Frankfurter Kreises, hatte nach der hessischen Wahl gleich abgewinkt: Die SPD müsse ihr Dilemma mit den Personen durchstehen, die sie an die Spitze gewählt habe. Loyalität, auch die mit zusammengebissenen Zähnen, gilt wieder als Tugend; Björn Engholm steht bis zur Bundestagswahl vorn, wenn er nicht doch über die Kieler Affären stolpert. Diese Einschränkung muß allerdings gemacht werden.

Der Führungskreis ist sich von Herzen spinnefeind

Es fehlt an Führung! Seit Hans-Jochen Vogel erst den Partei-, dann den Fraktionsvorsitz abgegeben hat, gehört dieser Stoßseufzer zum sozialdemokratischen Grundbestand. Nebenbei, es herrschte allenthalben Erleicherung, als der strenge Vogel endlich den ewigen Enkeln Platz machte, die unanständig lange auf ihre Stunde gewartet hatten und – wie Lafontaine im Jahr 1990 – schon schwere Niederlagen hinter sich hatten. Die nunmehr „fünfzigjährigen young boys“, wie ein Bundestagsabgeordneter sie nennt, sind bis heute ein „Verein unabhängiger Sprecher“ (Heidi Wieczorek-Zeul) geblieben. Das Schiffstau, das Björn Engholm nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden geschenkt wurde, verfehlte seinen symbolischen Zweck: an einem Strang zieht die SPD-Führung der Gleichaltrigen nicht. Zu Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, die ihr ausgeprägtes Geltungsbedürfnis gar nicht verhehlen können, gesellte sich mit Rudolf Scharping noch ein weiterer, wenngleich disziplinierterer Landeschef mit bundespolitischer Ambition.

Die Überraschungswahl von Klose zum Fraktionsvorsitzenden hinterließ eine Fraktionsführung, in der sich alle von Herzen spinnefeind sind. Und die Baracke, das Zentrum der Partei? Der Chef sitzt in Kiel, das bewährte Personal floh nach den letzten sozialdemokratischen Wahlerfolgen in Rheinland- Pfalz und Hessen 1991 in die dortigen Staatskanzleien. Der Bundesgeschäftsführer leitet ein frustriertes Haus.

Brandt, Wehner und Schmidt waren sich doch auch nicht grün, heißt es oft, wenn Erinnerungen an erfolgreiche Spitzenteams hochkommen. Hans-Ulrich Klose antwortet dann stets: die saßen wenigstens alle in Bonn. Da befindet sich heute nur der Fraktionschef ständig. Daß die wichtigsten Köpfe der SPD aus Kiel, Hannover, Saarbrücken, Mainz und Bonn agieren, verschärft nicht nur das große strukturelle Problem, daß Parteiinteressen und die der jeweiligen Landespolitik durchaus nicht immer identisch sein müssen. Der milde Klose, der heftig abgeneigt beobachtet, wie Teile seiner Fraktion sich in der Opposition allzu dauerhaft einrichten – er will 1994 regieren. Wollen es die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten auch? Zieht es etwa Schröder, der so erkennbar mehr Lust an der Macht hat als Engholm, in die Unwägbarkeiten der Bundespolitik von 1994? Er hat im nächsten Frühjahr seine Landtagswahlen zu gewinnen. So unrecht ist es ihm nicht, als nächstes Ziel die Wiederwahl zum Ministerpräsidenten anzusteuern.

Wie ein getreuer Spiegel der Wählerschaft

Lafontaine hat sich auf die Wendung „Björn Engholm ist der Parteivorsitzende“ zwangsverpflichtet – er hat seit 1990 soviel einstecken müssen, daß er lieber abwartet. Es drängelt eigentlich keiner nach vorn, um den zögerlichen Engholm vor '94 abzulösen. Bestenfalls steht Rudolf Scharping für unerwartete Wechselfälle bereit.

Eine Hierarchie, in der der Vorsitzende wenigstens als erster unter Gleichen gilt, läßt sich ohnehin unter Leuten einer Generation schwer herausbilden. Der schwere Bruch zwischen den gesamtdeutschen Altvorderen und ihren höchst westdeutschen Nachfolgern 1989/90 versperrt bis heute die Möglichkeiten, die Eitelkeiten des gegenwärtigen Führungspersonals durch die geläuterten elder statesmen der SPD zu moderieren. Johannes Rau, der aus dem Kreis des Präsidiums dafür in Frage käme, weil seine Machtambitionen befriedigt sind, hat eine schwere Krankheit zu bewältigen und jetzt im eigenen Land alle Hände voll zu tun. Und schließlich: eigentlich sieht der Führungskreis sich selten.

Der Austausch mit dem je eigenen engen Beraterkreis in Hannover, in Kiel, in Mainz spielt eine größere Rolle als der der Spitzengenossen untereinander. Wie ein getreuer Spiegel der Wählerschaft, die in alle Richtungen auseinanderläuft, sind Partei, Fraktion und Spitzengenossen in viele Splitter aufgeteilt. Die harten Fragen der Gegenwart, die nach der Perspektive für das desintegrierte Deutschland, nach der Zukunft der Volksparteien, werden dann eben so beantwortet, wie die Tradition es nahelegt: mehr Geschlossenheit, mehr für die kleinen Leute. Schlimm, daß die Parteilinke mit dem Schlachtruf „Mehr Opposition“ nur eine weitere altgediente Floskel beisteuert, die eigentlich wenig besagt.

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