Spiel als Sucht: Zocken bis nichts mehr geht

■ 10000 Hamburger sind auf der Droge Daddelautomat / Männer zocken mehr / Krankenkassen bezahlen selten Therapien

/ Männer zocken mehr / Krankenkassen bezahlen selten Therapien

Es war zum Heulen. Als die maskierten Männer die Spielhalle überfielen, hatte Sascha gerade eine Super-Sonderspielserie. Als ihm einer der Räuber den Trommelrevolver an die Schläfe hielt, spürte der junge Mann keine Angst, nur Wut: „Verdammter Mist, warum gerade jetzt“. Als Minuten später die Polizei anrückte, zeigte Sascha den Beamten noch kurz, in welche Richtung die Täter geflüchtet waren, rannte zurück zu seiner Daddelkiste und zockte weiter, als sei nichts gewesen. „Mich hat nur interessiert, welche Gewinn-Chance ich da gerade verpaßt habe.“

Die Anekdote ist so komisch nicht. Sie beschreibt das Endstadium einer Sucht. Das ganze Denken dreht sich um die Droge, alles andere wird egal. Der Bremer Spielsuchtexperte Gerhard Meyer schätzt, daß „mindestens 10000 Hamburger ihren Spieldrang nicht mehr unter Kontrolle haben. Sie setzen auf der Rennbahn ihr Erspartes, verzocken beim Roulette ihr Hab und Gut, tragen paketweise Lotto-Scheine an die Schalter.

Die meisten Spielsüchtigen aber, weiß Bert Kellermann, Chefarzt der Suchtabteilung des AK Ochsenzoll, sind durch Glücksspielautomaten süchtig geworden: „Erst seitdem diese Kisten überall hängen, ist Spielsucht ein Massenphänomen.“ In den vergangenen zehn Jahren hat Kellermann 400 Glücksspieler in der stationären Sucht- Therapie betreut. Nach Alkoholikern und Junkies stellen sie die drittgrößte Patientengruppe in den Hamburger Suchthilfeeinrichtungen dar. Ihr Anteil ist viermal so hoch wie der der Tablettenabhängigen.

Neben den Hamburger Suchthilfestellen kümmern sich vor allem die Selbsthilfegruppen der „Gambler Anonymous“ (Tel: 209 90 09) um diejenigen, die ihrem zwanghaften Spieltrieb Herr werden wollen. Auf den Tag genau vor zehn Jahren gründete sich der erste Zusammenschluß der Glücksspielabhängigen in Hamburg, heute treffen sich bereits zehn Gruppen regelmäßig in der Hansestadt.

Doch die Spielsüchtigen suchen sich meist erst die Hilfe anderer, wenn alles schon fast zu spät scheint. Eine Befragung der Spielsüchtigen in Ochsenzoll förderte zutage: Mehr als die Hälfte der Patienten hatte aufgrund ihrer Spielsucht bereits den Arbeitsplatz oder die Wohnung verloren. Zwei Drittel hatten sich ihr „Spielgeld“ auch auf kriminellem Wege besorgt, mehr als die Hälfte der Befragten bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Der Schuldenberg, den die krankhaften Zocker in die Therapie mitbringen, beträgt im Durchschnitt 46000 Mark.

Fast immer sind es junge Männer, oft noch Heranwachsende, die den Groschengräbern verfallen. Ihre Zahl nimmt ständig zu. Daß die Zahl der Spielsüchtigen, die

1sich 1992 einer stationären Therapie in Ochsenzoll unterzogen, um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr zurückging, führt Kellermann auf die Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen zurück: „Die Krankenkassen bezahlen immer seltener die Behandlung.“ Denn von den Kostenträgern wird die Spielsucht offiziell nicht als Krankheit aner-

1kannt. Der Chefarzt beklagt, daß „Spielsüchtige meist nur dann eine Therapie finanziert bekommen, wenn sie nachweisen können, daß sie auch Alkoholiker sind“.

Ansonsten sichert nur ein „Etiketten-Schwindel“ dem Spieler eine Übernahme der Behandlungskosten: Er muß einen Arzt finden, der ihm eine schwere Depression

1diagnostiziert. Doch solche Schliche führen oft in die falsche Klinik. So berichtet die Leiterin einer Spielerberatungsstelle, daß viele Glücksspieler statt in Suchteinrichtungen in psychosomatische Kliniken eingewiesen werden. Dort seien sie „aber so falsch aufgehoben wie ein Herzpatient auf der Orthopädie“. Marco Carini