Verlorene Kriege, verlorenes Land

Filme gegen das Kompensationskino der fünfziger Jahre: Will-Tremper-Retrospektive im Arsenal  ■ Von Petra Lüschow

Berlin 1956: Hotte Buchholz gerät auf die schiefe Bahn und startet seine Karriere als deutscher James Dean, ein rebel without a cause. Der Drehbuchautor Will Tremper erzählt in „Die Halbstarken“, was passiert, wenn das Kind von einem schwächlichem Vater und einer hilflosen Mutter erzogen wird. Der „halbstarke“ Ausbruch des Jugendlichen aus der bürgerlichen Familie mißlingt. Am Ende stehen Raub, versuchter Mord und die Verhaftung mit Polizeigroßaufgebot. Vom Bubenstreich zum Schwerverbrecher ist es eben nicht weit; wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe... Horst Buchholz, dem damals noch die Gesichtshaut über die Wangenknochen spannte, ist der großmäulige Bandenchef, Karin Baal hat ihr Debüt als Femme fatale im Konfirmandenalter, die die Buben in den Abgrund zieht.

Will Tremper (1928 geboren), Drehbuchautor und Regisseur, dem in diesem Monat eine zehnteilige Retrospektive im Arsenal gewidmet ist, schrieb ein Stück deutscher Filmgeschichte der fünfziger und sechziger Jahre. Als Heimat- und Schlagerfilme das Millionenpublikum ins Kino lockten, in denen auf grüner Heide deutsche Volkslieder gesungen wurden, um die angeknackste Identität der Deutschen zu rehabilitieren, versuchte Tremper als einer von wenigen, die Wirklichkeit in den Film zurückzuholen.

Gegen das Kompensationskino der fünfziger Jahre waren Trempers Filme persönliche Versuche einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. „Nasser Asphalt“ (1958) erzählt, wie der junge Reporter Greg (Horst Buchholz) in die Machenschaften eines erfolgsgierigen Starjournalisten verwickelt wird, dem die Sensationsmeldung wichtiger ist als die Wahrheit. Greg kommt seinem väterlichen Chef schließlich auf die Schliche, löst sich und wird fortan im Dienste der Wahrheit und der Menschlichkeit handeln. Es ist die Geschichte eines kleinen Mannes, der den Faschismus erlebt hat und noch jung genug ist, um einen Neuanfang machen zu können. Die Vergangenheit erinnert er nur als furchtbaren verlorenen Krieg. Anstelle einer Erklärung darüber, warum er von den Alliierten inhaftiert wurde, sagt er zu seiner naiven Freundin aus dem Ausland: „Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach Hitler, kam jeder zweite Deutsche, na sagen wir mal, in Schwierigkeiten.“ So macht Greg die Deutschen zu Opfern der Alliierten. Auf der Fahrt durch Berlin erklärt er seiner Freundin: „Das ist die Siegessäule. Siegessäule klingt ein bißchen komisch nach 'nem verlorenem Krieg.“ In Trempers Filmen wird viel über „verlorene Kriege“, „verlorenes Land“ und „Volksdeutsche in Mitteldeutschland“ gesprochen. Wenn in „Nasser Asphalt“ eben noch von Nazis die Rede war, sind daraus im nächsten Satz schon zwei deutsche Soldaten geworden.

Will Tremper war Journalist, er machte Filme über Themen, die ihn politisch interessierten. Hatte er eine Idee, begann er seine Dreharbeiten auch ohne gesicherte Finanzierung, drehte wenig aufwendig auf den Straßen Berlins und unter Einsatz von Laiendarstellern. So entstand „Verspätung in Marienborn“ (1963), weil ihn die Meldung empörte, daß die Amerikaner einen Flüchtling an die Sowjetunion ausgeliefert hatten.

Seine erste Regiearbeit „Flucht nach Berlin“ (1960) befaßte sich mit der deutschen Teilung. In der Art eines Actionfilms erzählt der Film die Flucht in den Westen. Der anständige Bauer Gülden will seinen Acker nicht an die LPG abtreten. Realexistierender Sozialismus und Nationalsozialismus werden als zwei Seiten einer Medaille dargestellt. Es darf gelacht werden, denn die Kommunisten sind hörige und lächerliche Gestalten. „Flucht nach Berlin“ ist ein richtiges Propagandastückchen aus Adenauerzeiten. Tremper kokettiert mit der Wirklichkeit, wenn er bereits im Vorspann behauptet, der Film beruhe auf Tatsachen – ein Kunstgriff, den er auch in „Die Halbstarken“ anwandte. Daraus konstruierte Tremper mit griffigen Handlungselementen love and action, spannende, manchmal reißerische Spielfilme.

Die Retrospektive führt anschaulich vor, worin Trempers Qualitäten bestanden. In „Playgirl“ (1966) macht das Starmodell Barbara (Eva Renzi) eine Reise nach Berlin und begegnet auf ihrer Tour nicht nur diversen Liebhabern, sondern lernt auch etwas über die Geschichte dieser Stadt. Barbara ist ein oberflächliches, aber intelligentes „Mädchen“, das lernen muß, den flüchtigen Sex mit dem nächstbesten für die Liebe zu zweit aufzugeben. Am Ende trägt sie ihr Liebhaber (Harald Leibnitz) wie ein erlegtes Tier und läßt sie auf den Rasen plumpsen. Die als „verrückt“ und „zärtlich schizophren“ bezeichnete Barbara darf als geheilt gelten. „Playgirl“ ist ein Film voller Spontaneität. Die Ästhetik der Bilder, das Erzähltempo und die unverkrampften, witzigen Dialoge bestechen und stehen in keinem Verhältnis zur konventionellen Botschaft des Films. Trempers Frauengestalten fallen eben aus dem Frauenbild der Fünfziger- Jahre-Filme nicht heraus.

Nach „Playgirl“ folgten nur noch die Auftragsarbeiten „Sperrbezirk“ und die reichlich mißlungene Sexkomödie mit dem unglaublichen Titel „Wie kommt ein so reizendes Mädchen zu diesem Gewerbe“ (1969), sein erster Film in Farbe. Danach hörte Will Tremper auf, Filme zu machen, widmete sich fortan ausschließlich seiner journalistischen Arbeit und überließ einer neuen Generation von FilmemacherInnen das Feld.

Noch zu sehen: heute: Flucht nach Berlin (1960), 20.30 Uhr; Mo. 15.3.: Die endlose Nacht (1963), 22.15 Uhr; Mi. 17.3.: Verspätung in Marienborn (1963), 18 Uhr; Sa. 21.03., Zimmer 13 (1963), 20 Uhr; Do. 25.3., Playgirl (1966), 22.15 Uhr; Sa., 27.3., Sperrbezirk (1966), 20 Uhr; Mo. 29.3., Wie kommt ein so reizendes Mädchen... (1969), 22.15 Uhr.