Wand und Boden
: Berlin säen und sterben

■ Kunst in Berlin jetzt: Carsten Nicolai, Joa Iselin & Christoph Ranzenhofer, Günter Koller

Die Beleuchtungsanlage in der kommunalen Galerie Weißer Elephant in Berlin-Mitte kann sich sehen lassen: an einem schwarzen Stahlrohrquadrat sitzen drei Akku-Blocks, aus denen mit schmalen, formbaren Hälsen bis zu sechs Leuchten ragen. So mischt sich in der 3-Räume-Galerie, deren Boden mit rotem Ziegelstein ausgelegt ist und an deren Fensterfront eine derbe Holzbank entlangläuft, Urigkeit mit Hightech.

Da wirken die Arbeiten des Chemnitzers Carsten Nicolai wie die bestellte Ergänzung: geschmackvoll in Szene gesetzte Erd- und Aschenfarben – als gelte es, auf die Herbstkollektion einzustimmen. Die Ausstellung wird dominiert von vier Ensembles, die jeweils ein Gemälde mit einem flachen Schaukasten kombiniert. In den Schaukästen werden exotisch anmutende Naturwaren ausgestellt: rot-orange leuchtende, getrocknete Blüten; riesige, getrocknete Schoten und ähnliches: „Morbus“ nennt Nicolai die Ausstellung, und man ahnt, daß es um den Lebenszyklus geht, säen und sterben. Hier kommen die Spots ideal zum Einsatz, das Zeug strahlt wie von innen. Die Gemälde greifen die Naturmotive vage auf, aber sparen an Farbe: mehr oder weniger geschlossene Brauntöne strengen sich an, das Auratische zu kitzeln; ein bißchen Rembrandt, Beuys, Schumacher. In den Formen, soweit erkennbar, Rückgriffe auf den einen oder anderen Jugendstil.

Ergänzt wird die Ausstellung einerseits durch Papierarbeiten, die kryptische Enbleme mit ihren naheliegenden Namen verbinden: Käfig, Stuhl, Spirale, andererseits durch eine CD mit der selbstgemachten Musik Nicolais, deren Stücke wiederum durch die Embleme (nicht die Namen) benannt sind.

Nicolai präsentiert sich als harter Brocken, seine Arbeit als System mit Verweis auf Systeme (Enzyklopädie, Naturkundemuseum, etc.), new age meets Gesamtkünstler – aber gerade die kryptische Seite seiner Arbeit wirkt extrem gesucht, aufs Säuberlichste angestrengt. Das belegen dann auch die Gemälde desselben Carsten Nicolai, die bei eigen + art in der Auguststraße gezeigt werden: dort ist die gesellschaftliche Fixierung auf das Figürliche, dieses schwere Erbe der DDR, noch deutlich spürbar, wenn auch mit New Yorker Tendenzen (Baechler) eingefärbt. Das „Kauf mich“ in den Arbeiten Nicolais ist noch zu laut, die Codierung erscheint als zielstrebig gesuchte Verschlüsselung, bar jeder Ironie.

Almstadtstraße 11, 1054 Berlin, Di.-Fr. 11-19, Sa. 15-18 Uhr. Bis zum 27.März.

Da leben sie schön in der Schweiz, Joa Iselin (Jahrgang 1951) und Christoph Ranzenhofer (1956), bekommen beide das Stipendium des Kantons Zürich „als Auszeichnung für künstlerische Arbeit“, schließen beide die Akademie erfolgreich ab – um dann, im Jahre 1992, ausgerechnet hierher zu ziehen, ins graue, hektische, ärmliche Berlin. Die beiden Herren, die sich auf einer Fotografie präsentieren wie die berühmten ungleichen Boxer von August Sander, debütieren nun im Boudoir, jener auf anzüglich dekorierten Etage im einsam stehengebliebenen Hinterhaus des öden Schuppengrundstücks Brunnenstraße 192.

„Rodin und die radikale Malerei“ nennen sie ihre Präsentation von 30 gemalten Fast-Quadraten in stumpfen Farben: rot, grün und ocker (soll sein: gold), den Farben des Interieurs eben des Boudoirs. Die Rahmen, auf den ersten Blick barockes Schnitzwerk, erweisen sich beim Herantreten (was sich empfiehlt) als komplizierte Keramik: Geflechte von nackten männlichen Figuren, die mit mehr oder weniger erigierten Gliedern, ineinander verschlungen (nach dem Laokoon-Motiv) und kopulierend den Rahmen um die müden Monochromien schließen, die Orgie als Endlosmotiv. Die Figuren, übrigens von sehr unterschiedlicher Qualität, sind offensichtlich liebevoll geknetet und montiert worden: die Mischung aus Eleganz und Nachlässigkeit, die seltene Kreuzung von Fleiß und Witz erinnert ein bißchen an das Tonfiguren-Projekt von Fischli/Weiss Anfang der achtziger Jahre, die sexuelle Deutlichkeit an die Figuren von Josef Felix Müller: Schweizer

Günter Höller: Autistensitzstraße

roots. Die wenigen Frauenfiguren erscheinen nicht im lesbischen Reigen, sondern mit Männern.

Es riecht nach kaltem Rauch. Vor der Etagentür stapeln sich die leeren Flaschen.

Salon: Di.-Fr.14-19 Uhr. Bar: Fr. und Sa. 22-3 Uhr. Bis zum 10.April.

Eine Ausstellung, die eigentlich nur Minister Krause hätte angemessen eröffnen können: Günter Höllers „Stadt – Land – Fluß“, eine heroische Hommage an die Straße unter uns, neben uns und in uns. Speziell für den Künstler hat Höller die Sitzfläche eines ansonsten versilberten (um sich selbst) drehbaren Bürostuhls asphaltiert und mit den Zeichen des Kreisverkehrs versehen („Autistensitzstraße“); in der Mitte der Galerie läuft mit unsichtbarer Geschwindigkeit eine schwarze Masse (Bitumen) einen gewundenen Lauf hinunter, um als „River of no return“ den unaufhaltsamen Sieg der Zivilisation gegen widrige Umstände (Natur) zu versinnbildlichen.

Höller, selbst nicht wagenführender Führerscheininhaber, bedient sich bei der Materialbeschaffung nostalgischerweise des Recyclings: die stählern glänzenden Bleche, mit denen er seine Borde beschlägt und seine Straßenfragmente begrenzt, waren zuvor die Innenseiten ehemaliger Bierdosen. Auch das „Museum Moderner Kunst“, das in der Serie „Architektur light“ entstanden ist, betreibt fast unsichtbar Raubbau am Gehabten: die transparenten Stockwerke des imaginären Hochhausmuseums sind die Cellophanhüllen von Zigarettenpackungen, sorgsam bewahrt und verschlossen. Im MuFoto links: Höller, oben: gefunden

seum zu sehen sind, wie Höller, der seine Werke bewacht, erklärt und – im Fall der „Strasse mit Stossdämpfer“ – auch vorführt, „Skulpturen von Henry Moore“, die ein gänzlich unbefangener Betrachter wahrscheinlich für Styroporchips gehalten hätte, wie sie in der Verpackungsindustrie millionenfach hergestellt werden.

Unwahr-Galerie, Kleine Hamburger Straße 16 (Ecke August-), 1040 Berlin, Di.-So. 16-20 Uhr. Bis zum 21.März.

Auf dem neurotisch gemustersten Kunststoffsitz einer S-Bahn neuen Typs ein Fund: das Bild eines Jungen, der, den Kopf vor einem himmelblau verlaufenden Hintergrund leicht geneigt, in die Kamera schaut. Der Blick von jemand, der sich gesehen sieht und im gleichen Moment sich sieht; in einer der Konvention entsprechenden Vorsicht etwas von sich preisgibt, das nicht austauschbar ist. Dies ist es, was ich in den meisten Arbeiten gegenwärtiger Kunst vermisse: für einen Moment zu glauben, unwillkürlich gemeint zu sein. Ulf Erdmann Ziegler