Die Querspieler kommen

Nicht nur für Jazzfans – das Anti-Rassismus-Festival: „Farbe bekennen“  ■ Von Christian Broecking

Das andere Berlin stehe in der Verantwortung – sagt Barbara Rueger, seit zwanzig Jahren die einzige Jazzredakteurin Europas. Bei „ihrem“ Rias-Sender hat sie nun ein Projekt verwirklichen können, das – ohne Festivalagentur und ausufernden Managementstab peplant – zunächst wie eine der vielen im Vorfeld zum Scheitern verurteilten Goodwill-Ideen wirkte.

Aber sie machte weiter, mit der Hilfe vieler Freunde, Musiker, Sponsoren und schließlicher Unterstützung der sendereigenen Infrastruktur; als auch noch Pfarrer Albani seine Zusage gab, die traditionsreiche Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg als Aufführungsort zur Verfügung zu stellen, stand dem ambitionierten Festivalprogramm „Farbe bekennen – Jazz gegen Rechts“ nichts mehr im Wege. Auf diesem ersten deutschen Jazzfestival seiner Art werden über zwanzig Jazzer der „Who is Who“- Kategorie mit (wie auch immer bescheidenen) Mitteln ihren Beitrag zum Thema abgeben. Und vorweg: wer sich der nicht mehr ganz taufrischen „Gegen-Rechts“-Floskel überdrüssig fühlt, sei entwarnt; against right wing violence – so steht es in den Verträgen mit den Partizipierenden, sicher auch nicht ganz neu, aber glaubwürdig.

Zwar erhält jeder Musiker eine Gage, die allerdings reicht gerade zur Deckung der Unkosten; keiner ist verdächtig, wegen des Geldes oder sonstiger Lorbeeren anzureisen, denn das gibt's woanders. So sagten von den zuerst Befragten zunächst sogar einige ab – aus Angst vielleicht, vor dem, was die Zukunft bringt, man weiß ja nie... Auch einer der Sponsoren wollte nicht genannt werden, um seine Beschäftigten und Einrichtungen zu schützen, wie es heißt. Keine Legenden, sondern Deutschland live, im Winter 1993.

Womit wir beim Thema wären. Was können Jazzer tun? Zumindest den sprichwörtlichen Arsch hochkriegen und das bieten, was sie können, nämlich Spielen; mag sich Barbara Rueger in etwa gesagt haben und griff zum Hörer – des Telefons. In San Francisco erreichte sie ihren Freund Joe Henderson, die derzeit meistgeehrteste amerikanische Jazzlegende. Er befand ihre Idee für great und tat das Unerwartete: er sagte zu. Der schwarzamerikanische Saxophonmeister, dessen Obertonspiel an Elefantenrufe denken läßt, weiß, was es heißt, in einem Land aufzuwachsen, wo die Erfahrung des Rassismus vielerorts das einzige ist, womit die Kids versorgt werden. Er wird exklusiv für das Festival die Reise antreten, wie übrigens alle anderen Musiker auch, und Farbe bekennen wird er mit einer Dream Band, bestehend aus dem weißamerikanischen Vibraphonisten David Friedman, derzeit Professor am Jazzbereich der Berliner HdK und Miterfinder des Festivals, dem Franzosen Jean François Jenny-Clarke, Baß, und dem schweizerischen Schlagzeuger Daniel Humair.

Aller Voraussicht nach eröffnet das Japan meets Berlin-Duo der Klaviervirtuosen Aki Takase und Alex von Schlippenbach, ortsansässiges Symbol der musikalischen und persönlichen Partnerschaft zwischen den Kontinenten und Kulturen, den Abend. Lediglich drei feste Formationen treten auf: das Brandenburg Quintett Berlin und das Enfant-Trio mit Ernst- Ludwig Petrowsky, Günter Bartel und Uschi Brüning, die auch gegen die voluminöse Gethsemane-Orgel angospeln wird. Und aus Ungarn reist das Trio Stendhal an, im eigenen Land ein Begriff in Sachen Antikonservatismus. Gitarrist Forenc Snetberger wird in einem weiteren Festivalact auf den französischen Geiger Didier Lockwood treffen – nach siebenjähriger Berlinabstinenz ein weiterer Höhepunkt. Albert Mangelsdorff trifft traditionell auf sich selbst und Pianist George Gruntz auf Siggi Busch (Baß) und Daniel Humair. Eine Jam-Session beschließt das Programm am frühen Sonntagmorgen; auch wenn jedes Festival- Tupferl nur dreißig Minuten dauern würde, bedeutet das allein schon sechs Stunden Musik pur, ausschließlich Umbaupausen und anderer Unwägbarkeiten.

Dem Berliner Schauspieler Christian Brückner ist die Moderation anheimgegeben, und wenn zudem noch der eine oder andere Musiker sich zu verbalen Zwischenäußerungen berufen fühlt – hoffentlich in angemessener Kürze! – verspricht das kein Ausfall gemäß der Regel zu werden, daß zuviel Gerede der Musik und den Hörern schlecht tut.

Im Vorfeld also kein Grund zum Meckern: ein mutiges Projekt im superlativen Festivaldress steht ins Haus, Jazz meets Zivilcourage. Und das Bonbon zum Schluß: der Eintritt ist frei und der Run auf die 2.500 Zutrittskarten erreicht gerade die Zielgerade. Christian Broecking

13.3. Farbe bekennen – Jazz gegen Rechts, Gethsemanekirche, Gethsemanestraße 9, 1058 Berlin.