Ein bloßer Unsinn

Nur wenig Solidarität mit Rushdie in islamischen Ländern  ■ Von Achmed Taheri

Der Imam Chomeini verstand sich aufs Timing. Pünktlich zum 10.Jahrestag der islamischen Revolution verkündete der Ajatollah seine berushdigte Fatwa, die islamische Bulle gegen Salman Rushdie. Seitdem feiert die islamische Republik Iran jeweils im Februar ein Doppelfest, in dem der „wahre Islam“ mit der Blutfatwa verbunden wird. Doch nie zuvor stand der Fall Rushdie so im Mittelpunkt der Feierlichkeiten wie in diesem Jahr. Seit Wochen krachen die schiitischen Schimpfkanonaden Richtung London. Damit reagiert Teheran auf die Reisen Rushdies und die erneute Kritik am Iran.

„Wahrlich“, sprach der Revolutionsführer Said Ali Chamenei, „ist die Fatwa des Imam gegen den Apostaten Rushdie ein göttlicher Lichtstrahl. Es obliegt jedem Moslem, der des Abtrünnigen habhaft wird, ihn zu bestrafen.“ Der „indische Gotteslästerer“, so Chamenei, habe im Namen der dichterischen Freiheit und im Dienste des Imperialismus und Zionismus den Propheten, seine Genossen und seine Frauen in unverzeihlicher Weise beleidigt, damit die Autorität des siegreichen Islam untergraben werde. Parlamentspräsident Natek-Nuri ging einen Schritt weiter. Er forderte die Anhänger aller „Buchreligionen“, also auch die Juden und Christen, auf, dem Befehl des „seligen Imam“ Folge zu leisten. „Der armselige Zeilenknecht des Westens“, beschimpfte die halbstaatliche Tageszeitung Keyhan, Sprachrohr der radikalen Fundamentalisten, den Autor der „Satanischen Verse“. Auf Geheiß der Briten, so das Blatt, habe Rushdie die europäischen Länder bereist, um „um Hilfe zu betteln“. London sei voller Neid auf die guten Beziehungen der Deutschen und Franzosen zur Islamischen Republik. Mit dem „hinterhältigen Aufbauschen des Rushdie-Falls“ wollten die Engländer ihre Konkurrenten vom Iran-Geschäft fernhalten. Keyhans fromme Phantasie kennt keine Grenzen: „Am Tage des Jüngsten Gerichts werden alle gläubigen Menschen, die Kinder Israels, die Christen, die an die unbefleckte Empfängnis Marias glauben, und die Anhänger Mohammeds, des Siegels des Prophetentums, gemeinsam Salman Rushdie, diese widerwärtige Kreatur, bespucken.“

Gefeiert wurde der vierte Jahrestag der „historischen Fatwa“ auch in den anderen islamischen Ländern, vor allem in den muslimischen Regionen des indischen Subkontinents, der Heimat des geächteten Dichters. Im pakistanischen Karatschi wie im indischen Delhi, in Bangladesch wie in Sri Lanka demonstrierten fundamentalistische Gruppen und skandierten ihren Schlachtruf „Tod Rushdie!“. Auch in den schiitischen Enklaven der arabischen Welt, wie etwa im Libanon, gab es Anti-Rushdie- Manifestationen. Selbst in Baku, der Hauptstadt der Republik Aserbaidschan, wo die Mehrheit dem Schiismus anhängt, gingen einige hundert Menschen gegen den „indischen Gottesfeind“ auf die Straße. Emissäre aus Teheran, so die Gerüchte, hätten mit Geld und Geschenken die Glaubensgenossen mobilisiert.

Schenkt man den iranischen Medien Glauben, so fanden auch in einer Reihe europäischer und US-amerikanischer Städte fundamentalistische Versammlungen statt, bei denen das Bekenntnis zum Mordbefehl des Ajatollahs abgelegt wurde. Der Vorsitzende des islamischen Parlaments in England soll nach Berichten der iranischen Zeitungen verkündet haben, er werde „mit eigenen Händen alle Knochen Rushdies brechen“. Doch solche barbarischen Ansinnen bleiben auf die fundamentalistischen Zeloten beschränkt. Kein namhafter Vertreter des traditionellen Islam, schiitischer oder sunnitischer Richtung, wie etwa Großajatollah Gulpayegani von Ghom oder Scheich Tantawi, der Großmufti von Kairo, haben den Teheraner Mordaufruf unterstützt. Aber für Rushdie blieb die Solidarität in der islamischen Welt selbst unter den säkularisierten Kräften aus, weniger aus Furcht vor dem islamistischen Terror denn aus Abneigung gegen die „Satanischen Verse“. Rushdie habe, so eine im Ausland erscheinende linke persische Publikation, „mit billigem Spott über die Überzeugungen von Millionen Menschen dem antiislamischen Kreuzzug im Westen Vorschub geleistet“, eine Ansicht, die viele laizistische Intellektuelle islamischer Herkunft teilen.

Eine der wenigen Ausnahmen bildet eine Erklärung von Exiliranern. Fünf iranische Intellektuelle im Westen unterzeichneten vor einem Jahr eine Denkschrift, in der sie ihre Solidarität mit dem verfolgten indisch-britischen Autor bekundeten. Die Werke der beiden Lyriker Ismael Choi und Nader Pur, zwei der prominentesten Unterzeichner, dürfen seitdem im Iran nicht mehr gedruckt werden.

Für die meisten Moslems traditioneller Religiosität, also für die überwiegende Mehrheit der islamischen Ökumene, ist Rushdies Fall ein politisches Spektakel und läßt sie kalt. Die „Satanischen Verse“ haben ihre religiösen Gefühle nicht verletzt, wie die iranische Propaganda weismachen will. Wie könnten sie auch? Das Rushdie-Buch ist in fast allen islamischen Ländern verboten. Außerdem gab es schon immer Abtrünnige im Islam. Selten wurde jemand wegen des Abfalls von der Religion hingerichtet. „Paradies? Hölle?“ schrieb der persische Dichter Omar Khayyam im 11. Jahrhundert, „niemand kehrte aus dem Jenseits zurück, um uns davon zu berichten!“ Khayyam starb eines natürlichen Todes. Noch vor 50 Jahren gab es im Iran einen Bestseller mit dem Namen „Der Jüngste Tag“. Der Autor, Dschamal Zadeh, spottete über das göttliche Gericht. Sein Buch stand im Bücherregal von so manchem frommen Ajatollah. Hochbetagt nahm er am Genfer See Abschied vom irdischen Leben.

Die Apostaten, die am Galgen endeten, wie etwa Mansur Halladsch, der Mystiker des islamischen Mittelalters, waren politische Gegner der islamischen Obrigkeit. Rushdie war zwar kein politischer Opponent der klerikalen Herrschaft in Teheran, er wurde aber Opfer der politischen Opportunität: Iran galt als Verlierer im achtjährige Golfkrieg mit dem Irak. Da bescherte der Himmel dem bedrängten Imam die „Satanischen Verse“. Das spektakuläre Todesurteil sollte die Schmach am Golf vergessen lassen. Die Welt schaute erneut nach Teheran. Ein letztes Mal triumphierte der Gralshüter des „wahren Islam“.

Sechs Monate nach der Fatwa starb Ajatollah Chomeini. Doch das Todesurteil blieb unangetastet. Im Machtkampf um das Erbe wagte keiner der Prätendenten, das blutige Testament anzuzweifeln. Das Bekenntnis zur Fatwa war nun das Kriterium für die Treue zu Chomeini und seiner Revolution. Selbst Staatspräsident Ali Akbar Rafsandschani, der bemüht ist, sich mit dem Westen ins Einvernehmen zu setzen, sah sich vor wenigen Wochen gezwungen, den Mordbefehl zu rechtfertigen. „Die Fatwa“, sagte der Staatschef, „ist ein Expertenurteil und kann nicht geändert werden.“

Die Unwiderruflichkeit des Mordbefehls ist freilich ein bloßer Unsinn. Die Worte des Ajatollahs sind kein Gebot des Koran – von ewiger Gültigkeit. Die Fatwa ist begründet aus einer Hadiz, einer prophetischen Überlieferung, die wie tausend andere in ihrer Echtheit umstritten ist. Mohammed, der Gesandte Allahs, soll gesagt haben: „Wer den Propheten beschimpft, der verdient den Tod.“ Ferner gibt es in der schiitischen Jurisprudenz eine vorherrschende Meinung, nach der mit dem Tod eines Rechtsgelehrten seine Fatwen ihre Wirkung verlieren und nicht mehr befolgt werden dürfen.

Der Möglichkeit, die Fatwa aufzuheben, hat Chomeini noch selbst die Tür geöffnet, und zwar mit einer als „historisch“ apostrophierten Bulle. 1987 schrieb Chomeini: „Wenn es die Interessen des islamischen Staates erfordern, können alle Gebote wie Gebet, Fasten, Wallfahrt nach Mekka und andere außer Kraft gesetzt werden.“ Die Jagd auf Rushdie ist gewiß nicht wichtiger als die „fünf Säulen des Islam“, wie die vom Koran vorgeschriebenen Gebote heißen. Es liegt nun an den westlichen Staaten, von deren Gunst die marode iranische Wirtschaft weitgehend abhängig ist, mit vielerlei Druck Teheran deutlich zu machen, daß die handfesten Interessen des schiitischen Gottesstaates es erfordern, sich an internationale Normen zu halten. Nachgeben müssen die Mullahs früher oder später.

Achmed Taheri ist Iraner und lebt als Journalist in Frankfurt/Main