Ex-Dissidenten und Intellektuelle im Blauen Haus

■ Südkoreas neuer Präsident Kim Young Sam hat erste Versprechen eingelöst

Tokio (taz) - Bis zu seiner Amtseinführung vor zwei Wochen versprach der neue koreanische Präsident Kim Young Sam Kontinuität und wirtschaftliche Sicherheit. Die Dezember-Wahl hatte der frühere Dissident als Konservativer gewonnen, nachdem er 1990 in die Regierungspartei seines Vorgängers, General Roh Tae Woo, übergewechselt war. Mit Kim Young Sam schien Südkorea auf gewohnten Bahnen weiter zu trotten – welch Trugschluß.

Im Blauen Haus regiert Kim, als sei er wieder Dissident. Zuerst berief der Präsident ein Kabinett von Außenseitern, Intellektuellen und Frauen. Sechs von 24 Regierungsmitgliedern holte er aus der in seiner Partei verhaßten Süd-Region Cholla, einer oppositionellen Hochburg. Die neue Frauenministerin Kwon Yong Ja ist als Führerin demokratischer Straßenproteste bekannt. Neben ihr zogen fünf parteiunabhängige Professoren ein. „Politische Amateure“, schimpften Partei und Bürokratie.

Die wichtigsten Köpfe rollten am Montag. Kim entließ den Generalstabschef und den Leiter des militärischen Geheimdienstes, zwei treue Anhänger des 1987 gescheiterten Diktators Chun Doo Hwan. Zuvor hatte der Präsident die Entlassung von zweihundert Mitarbeitern der gefürchteten Nationalen Sicherheitsbehörde angeordnet. Als dessen Leiter setzte er den liberalen Politologie-Professor Kim Deok ein, dessen erste Amtshandlung darin bestand, seinen Leuten Einmischungen in soziale und politische Organisationen zu verbieten. Teilweise löste Kim sein Amnestie-Versprechen ein. Am Wochenende begnadigte er über 41.886 Personen, darunter 140 politische Gefangene. Menschenrechtsgruppen schätzen die Zahl der verbliebenen politischen Gefangenen auf etwa 400. Der neue Präsident hat zwei Verbündete: das Volk und die Wirtschaft. „Noch vor einer Woche hätte ich beschleunigte Reformen für unwahrscheinlich gehalten“, beobachtet Paul Muther, Leiter einer US-Bank in Seoul, „inzwischen sieht es nach dramatischen Veränderungen aus.“ Kim will neue Richtlinien für Einkommensnachweise für das Finanzamt ausgeben – ein Vorhaben, an dem seine beiden Vorgänger gescheitert waren. Damit riskiert Kim einen Aktiensturz. Doch die meisten Finanzhäuser halten die Reform für unentbehrlich, um die koreanische Börse für ausländische Investoren zu öffnen. Georg Blume