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Faust, juristisch geprüft

■ Faustrecht in der klassischen Tragödie: Goethes Werk unter der juristische Lupe

Mein alter Deutschlehrer wird sich im Grab umdrehen. Für ihn galt Goethes „Faust“ als Meisterstück deutscher Kultur. Nun soll das Opus von Verbrechen nur so wimmeln. Wenn es nach dem Willen der angehenden Bremer Juristen Jens Peter Gieschen und Klaus Meier geht, wird demnächst vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Leipzig das Verfahren eröffnet gegen „Dr. Heinrich Faust, Doktor und Magister“ und „Mephistopheles, Teufel“. Die Anklage wirft ihnen schwere Kapitalverbrechen vor.

In ihrem Buch „Strafakte Faust - Goethes berühmte Triebtäter auf dem juristischen Prüfstand“ durchforsten Gieschen und Meier der Tragödie ersten Teil nach Verstößen gegen die Rechtsordnung. Die deutsche Vereinigung macht es möglich: die Ausdehnung des Rechtssystems auf den Tatort (Leipzig bis zum Brocken) „verdanken wir nicht Herrn Mephistopheles und seinem Zaubermantel, sondern Herrn Dr. Helmut Kohl und seinem Mantel der Geschichte.“

Fündig wird das unbestechliche Juristenauge in dieser „buchförmigen Aufzeichnung diverser Straftaten“ recht schnell. Schon beim Prolog im Himmel ermittelt die Anklage gegen den Herrgott und Mephisto wegen „Verdachts auf unerlaubtes Glücksspiel“ (Wette um die Seele von Faust). Mephisto gar kommt in Teufels Küche in Form des berüchtigten politischen Strafrechts: Seine Angaben zur Person „Ich bin ein Teil von jener Kraft / die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ bringen ihm eine Anklage wegen § 129a StGB ein — Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Übel nimmt ihm die Anklage auch den Verstoß gegen das Luftverkehrsgesetz, den er durch sein „Fliegen mit dem Mantel“ begeht.

Lang ist das Sündenregister des Dr. Faust, der schließlich „ach, Philosophie, Juristerei und Medizin“ studiert hat: Mord an Gretchens Mutter, Totschlag ihres Bruders Valentin, versuchte Gefangenenbefreiung von Gretchen aus dem Kerker, Hausfriedensbruch, Beleidigung, Anstiftung zum Diebstahl sowie Verführung der minderjährigen Margarete in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung. Da schlägt der wehrhafte Rechtsstaat zu und fordert lebenslänglich für Faust und 15 Jahre für Mephisto. Nur Gretchen findet Gnade vor den Augen der Ankläger: Sie ist nach dem Prinzip „Im Zweifel für die Angeklagte“ für ihre Handlungen nicht zu belangen, weil sie „vom Sexualtrieb überfraut wird und der schädliche Einfluß von Faust zu groß ist.“

Die „Strafakte Faust“ ist ein seltenes Beispiel von juristischem Lesevergnügen. Da wird formal nach allen Regeln der Kunst die Lebenswirklichkeit unter Paragraphen subsumiert, da entscheidet eine geschraubte, gedrechselte Juristensprache über das Streben nach Erkenntnis und über menschliche Verführbarkeit.

Wie in jeder anständigen rechtlichen Arbeit steht auch hier das Amüsanteste in den Fußnoten. So wird bei Gretchens Verführung darauf hingewiesen, der Dichterfürst Goethe selbst habe wohl erst spät seine Unschuld verloren, nämlich in Italien, was der Gleichklang von „gen Italien“ und „Genitalien“ nahelege. Und das Motiv der Gretchenverführung sei in den achtziger Jahren von M.M. Westernhagen mit seinem Lied „Oh Margarete“ aufgegriffen worden.

Neben heiterem Schmunzeln transportiert das Buch aber auch Kritik an der herr-schenden Rechtsprechung: so bei der Ausdehnung des Gewaltbegriffs bei der Nötigung, die der Kriminalisierung von Sitzblockaden diente. (Hier am Beispiel des Festhaltens von Mephisto im Studierzimmer). Auch die Prüfung des „Schwulenparagraphens“ 175 StGB wegen Mephistos Aufforderung „Fasse wacker meinen Zipfel!“ entlarvt die Lächerlichkeit eines Geschlechtsstrafrechts. Verdienstvoll ist das von Susanne Schnatmeyer geschriebene, gegen die gängige Rechtsprechung gerichtete Plädoyer für die Strafbarkeit der sexuellen Belästigung als eine Beleidigung nach § 185 StGB. Damit den Kerlen diese Art der Anmache vergeht: „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen / Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ Bernhard Pötter

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