: "Als richtiger Junkie bist du vogelfrei"
■ Die Bezirke sorgen allenfalls für die Abhängigen der eigenen Drogenszene / Ein übergreifendes Konzept gegen die Verelendung der "User" fehlt ebenso wie eine Alternative zum illegalen Drogenmarkt
Berlin. In Kreuzberg treffen sich die Junkies am Kottbusser Tor und am Mariannenplatz, in Spandau am Rathaus, und in Schöneberg sind sie zwar nicht mehr am Nollendorfplatz, sondern in den Häusern und Hinterhöfen der Kurfürstenstraße und am Breitscheidplatz. Zwischen 6.000 und 9.000 Drogenabhängige verteilen sich derzeit über die Berliner Bezirke. Wo die Polizei oder auch die Anwohner versuchen, die Szenen zu zerschlagen, verdrängen sie sie lediglich.
„Jeder Bezirk hat seine Drogenszene, so wie jeder seine Alkoholiker und Normalos hat“, sagt Bärbel Knorr, Mitarbeiterin von Fixpunkt, einem Verein, der sich die Verbesserung der sozialen und gesundheitlichen Lage von DrogengebraucherInnen zum Ziel gesetzt hat. Er unterhält den „Treffpunkt Druckausgleich“ in der Hobrechtstraße, ein Selbsthilfeprojekt nicht nur für Substituierte in Form eines Cafés, in dem es Informationen, Rechtsberatung und eine Waschmaschine gibt. Auch hat Fixpunkt das Projekt „Mobilix“ zur Aids-Prävention unter Drogenabhängigen ins Leben gerufen. Hierzu gehört die Installation und Betreuung der sechs Spritzenautomaten in Berlin und der Spritzentauschbus. Seit Februar bietet das Gesundheitsmobil medizinische Beratung und Basisversorgung auf der Szene an.
„Aber es meint auch jeder Bezirk, er sei der einzige“, so Knorr. Also versuchten die Bezirke, ihre Drogenpolitik so zu betreiben, daß nicht noch mehr Abhängige in den eigenen Bezirk strömten. In Charlottenburg scheiterte die schon lange diskutierte Einrichtung eines Kontaktladens immer wieder an dieser Befürchtung. „In Spandau durften wir deshalb keinen Spritzenautomaten aufstellen, und am Breitscheidplatz verweigerten sie dem Spritzentauschbus eine Standgenehmigung.“ Auch seien die Angebote der Bezirke nur für die „eigenen Abhängigen“ konzipiert und würden reduziert, wenn viele Auswärtige sie in Anspruch nähmen. „Jeder Normalverbraucher darf sich in Berlin frei bewegen, nur die Junkies nicht.“
Dazu komme die zunehmende Verelendung der Abhängigen. „Die Schere geht immer weiter auf. Immer mehr Junkies sind obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht“, sagt Knorr. Nach Knast oder Therapieversuchen sei die Wohnung oft weg, eine Arbeit bekämen sie auch nicht und fielen so durch das soziale Netz. „Viele sind nicht einmal mehr krankenversichert“, weiß eine Mitarbeiterin des Gesundheitsmobils. Sie hat beobachtet, daß viele Konsumenten mit 15 oder 16 Jahren jünger sind als noch vor wenigen Jahren. „Auch aus dem Ostteil der Stadt kommen mehr, als wir gedacht hätten. Für die gibt es dort einfach noch keine Infrastruktur.“
„Vor allem müssen Kontakt- und Druckräume her“, fordert Fixpunkt-Mitarbeiterin Bea. Nur so bekomme man die Junkies von der Straße und verhindere deren Absturz. Die Methadon-Programme sollten ausgeweitet werden. Derzeit finden sich selbst für diejenigen Abhängigen, die die Bedingungen für eine Substitution erfüllen, nicht genügend Ärzte und Sozialarbeiter, die zu einer Betreuung bereit sind. Es müsse mehr Spritzentausch- und Entsorgungsmöglichkeiten geben, beispielsweise könne man Apotheken einbeziehen. Das gelte auch für die Knäste: „In Tegel gibt es pro Station etwa eine Spritze, da sind von den 400 Junkies im Haus 2 schon über die Hälfte HIV-inifiziert. Und wer im Knast nicht auf sauberes Besteck geachtet hat, tut das nachher auch nicht mehr.“
Das bundesweite Selbsthilfe- Netzwerk JES (Junkies – Ex-User – Substituierte) will mehr als Drogenpolitik. „Wir fordern die Behandlung als gleichberechtigte Glieder dieser Gesellschaft, und zwar in der Justiz wie in Sozialpolitik und Öffentlichkeit“, sagt Werner Hermann von JES, der auch bei der Berliner Aids-Hilfe arbeitet. „Als richtiger Drogenkonsument bist du in dieser Gesellschaft vogelfrei.“ Wenn Junkies von der Polizei aufgegriffen würden, würden sie als Rechtlose behandelt: „Sie duzen dich, ziehen dich aus, gucken dir in den Arsch und erpressen Aussagen, indem sie warten, bis du auf Entzug kommst.“ Drogenabhängige Prostituierte, die wegen Vergewaltigung Anzeige erstatten, würden erst mal selbst gefilzt, wie er von einigen Frauen am Zoo weiß. Selbst Grundrechte wie Freizügigkeit oder freie Berufswahl könnten Drogenabhängigen entzogen werden. Bestimmte Länder oder Kommunen sprächen sogar Aufenthaltsverbote aus.
Letztlich sei der Problematik der Verelendung auf der einen und der Organisierten Kriminalität auf der anderen Seite nur durch Legalisierung des Drogengebrauchs oder flächendeckende Substituierungen beizukommen. „Solange die Substitution nur mit dem Ziel durchgeführt wird, die Leute clean zu kriegen, ist sie sehr hochschwellig und verlangt einen ungeheuer kostenaufwendigen Personalaufwand.“ Wenn es aber eine Alternative zu dem illegalen Drogenmarkt gebe, so ist Werner Hermann überzeugt, würde die auch genutzt. Corinna Raupach
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